Blättchen für Heinz Knobloch (5)
Liebeserklärungen hat Heinz Knobloch diverse geschrieben, nur zwei aber, die auch ausdrücklich unter dieser Flagge segelten. Die ganz frühe an seine spätere Frau Helga muss also hier ausgeklammert werden, obwohl er sie nach der Urfassung in einer erweiterten noch einmal seiner Leserschaft präsentierte, ihr Titel: „Das dritte brandenburgische Konzert“. Zuerst im allerersten Feuilleton-Buch „Herztöne und Zimmermannssplitter“ (1962), dann überarbeitet und mit Widmung „Für Helga“ in „Bloß wegen der Liebe“ (1971), das war dann schon der fünfte Feuilleton-Band. Also: Liebeserklärung Nummer 1 galt Eckart Krumbholz (8. Januar 1937 – 29. März 1994), die Nummer 2 Rosemarie Schuder (24. Juli 1928 – 5. Mai 2018). Die zwei Jahre jüngere überlebte ihn um rund 15 Jahre, den elf Jahre jüngeren überlebte er um neun Jahre. So geht es im Leben. Und so kann es Verlagsprojekten ergehen. Mein Exemplar von „Liebes- und andere Erklärungen. Schriftsteller über Schriftsteller“ entstammt der zweiten Auflage von 1974. Einer Notiz am Ende ist zu entnehmen, dass die nun nur Porträts genannten Texte im Herbst 1970 in Auftrag gegeben und zumeist im ersten Halbjahr 1971 geschrieben wurden. Sie entstanden mit wenigen Ausnahmen als Originale für dieses Buch des Aufbau-Verlags Berlin und Weimar, das 1972 dann auch erschien.
„Wäre es nicht ratsam, über ihn nur Anekdoten zu erzählen, ihn beim Genre zu packen?“ Fragt Heinz Knobloch einleitend bezüglich Krumbholz. Dieser ist/war in der DDR vor allem mit seinen Anekdoten bekannt geworden, gesammelt in Bänden als „Fingerzeige“ und „Neue Fingerzeige“. Von deren Lesern wusste wiederum Knobloch, dass sie in mehrere Gruppen zerfallen. In wie viele? Es kam darauf an, wie man sie fallen ließ, wie ihre Halbwertszeit war: „Die einen beschweren sich, weil sie im Buche stehen. Die anderen beschweren sich, weil sie nicht im Buche stehen.“ Denn eine Eigenschaft von Anekdoten ist, man muss kein Lexikon heranziehen: Sie erzählen von Menschen, die tatsächlich gelebt haben oder gar aktuell noch leben. Was damals noch nicht ganz so gefährlich war, wie es heute ist. Wobei es gefährlicher ist, hinter einer Fiktion erkannt zu werden als gleich mit Name und Hausnummer genannt zu sein. Wir alle, also fast niemand, wissen, zu welch herrlichen Rechtsstreitigkeiten das führen kann. Manche Bücher sind nur dadurch berühmt geworden, dass in ihnen sich jemand erkannte und nun in den Wutmodus schaltete. Weshalb Krumbholz zu Beginn der „Fingerzeige“ den Warnhinweis setzte: „Sorgfältig habe ich alles weggelassen, was als Fingerzeig dienen könnte, dass kein Skandal oder auch nur Verdacht und Argwohn daraus entstehen kann.“
Das sorgfältige Weglassen sollte eigenständiges Lehrfach an Universitäten der Künste und ähnlichen Basisbildungsstätten werden. Vermutlich hat Heinz Knobloch öfter als einmal beim Lesen einer Krumbholz-Anekdote das Gefühl gehabt: das hätte man auch Feuilleton nennen können. „Mit den Augen der Liebe“ heißt deshalb folgerichtig ein Feuilleton, das Knobloch in seine Sammlung „Kreise ziehen“ aufgenommen hat. In der Vorabinformation dazu heißt es, rot gedruckt: „Als Spaziergänger im Sitzen beschreibt er minutiös das Leben von Gegenständen, zumindest hier; immerdar, wenn es sich um seine Tassensammlung, um alte Möbel und Bilder handelt“. Das ist schon Liebeserklärung für einen, der nicht alle, sondern alte Tassen im Schrank sammelt, um sie genau dort zu haben. Knobloch führt Louis Fürnberg ins Feld, weil es einen Bezug zu ihm gibt in der Krumbholz-Biografie und weil es auch sonst nie das Dümmste ist, an diesen Fürnberg zu erinnern. Die Brücke von einem zum anderen heißt Weimar, Geburtsstadt dem einen, Wohnstadt dem anderen. Krumbholz „bringt nicht nur das zum Druck, was seinem ureigenen Geschmack entspricht“. Das hätte Knobloch sicher gern auch über sich selbst gehört. „Seine Wohnung lässt sich nur drastisch beschreiben: Neu sind dort Kühlschrank, Schreibmaschine, Wurst und Brot.“
Bei Sammlern ist das kaum anders denkbar und altes Brot wie auch alte Wurst sammelt niemand, es sei denn, die dafür vorgesehene Bio-Tonne, die aber 1970 in Weimar noch nicht erfunden war. „So ist gut beraten, wer ihm in Antiquitätenläden folgt, die er mit harmloser Miene durchkreuzt“. Man darf denken, hier hat einer Marktwirtschaft im Blut, denn der interessierte Blick führt potentiell unweigerlich zu höheren Preisforderungen des Antiquars. Prinzip: Verlange das Vierfache, lass Dich um die Hälfte herunter handeln, dann hast Du immer noch das Doppelte und der Kunde geht zufrieden von hinnen. „Manchmal treffen wir uns so zufällig, seltener mit Absicht, und veranstalten gleich einen Rundgang über Bahn- und Friedhöfe und was uns so einfällt.“ Auch das darf keineswegs fehlen: „Er behauptet starrsinnig, ich hätte ihm einst den unleserlichen Durchschlag eines Manuskripts zum Abdruck eingesandt, während ich ganz genau weiß, dass wir plötzlich bei einer Versammlung im Schriftstellerverband an einem Tisch saßen, wo er mich durch Witze und dergleichen davon abhielt, dem Referat zu lauschen und dadurch ein gebesserter Mensch zu werden.“ So flatscht Ironie zu Boden. Unterm Tisch, so Knobloch, zeigte ihm Krumbholz Tassen, die er, während er ein Referat schwänzte, für seine Sammlung erwarb: in einem Einholenetz.
Wird ein Sammler, frage ich mich entsetzt, wertvolles Sammelgut in einem Einholenetz mit sich führen, wo es, so weit es sich um Porzellan handelt, gar nicht erst eines Elefanten bedarf, um die Scherben zu produzieren, die das Gegenteil von Glück bringen. Der letzte Satz lautet: „Dieser Krumbholz ist gesellschaftlich notwendig.“ Gesellschaftlich notwendig waren im real vor sich hin existierenden Sozialismus in den Farben der DDR nicht selten unangenehme Dinge, die Notwendigkeit das Totschlagargument gegen ewige Meckerer. Gegen Rosemarie Schuder werden keine tückischen Sätze gewendet. Schuder war seit 1958 mit Rudolf Hirsch (17. November 1907 – 7. Juni 1998) verheiratet, war Mitglied der DDR-CDU seit 1951. 1990 trat sie aus. Hirsch aber, der Gatte, war Gerichtsreporter, der berühmteste der DDR, kann man lesen. Und er war Wochenpost-Kollege Knoblochs. Man kannte sich, darf vermutet werden, gut bis bestens. „Manches Wort haben die Zeitungen abgewirtschaftet. Erwirb es, um es unbefangen zu verwenden.“ So beginnen die fünf Knobloch-Seiten zu Rosemarie Schuder. Und am Ende der ersten Seite steht: „Sie weiß durch vertrauten Umgang mit Gerichtsberichten, dass alles, was sie gesagt und geschrieben hat, für sie verwendet werden kann.“ Wem das bekannt vorkommt, irgendwie jedenfalls, der liegt richtig.
Das ist die Umkehr der Formel, die vor Gericht alle Zeugen gehört haben müssen, ehe sie sich der Befragung stellen. Beschuldigte müssen nichts sagen, was gegen sie verwendet werden kann. Sie dürfen lügen, bis sich die Balken biegen, falls solche in der Nähe sind. Nur unter Eid sieht es anders aus, da lauert rasch die Freiheitsstrafe ohne Bewährung. So jedenfalls die übliche Androhung, wie ich sie nach mehr als 300 Gerichtsberichten kenne und mitsprechen konnte. In den Bücherregalen meiner Eltern war Rosemarie Schuder vielfach, Rudolf Hirsch gar nicht vorhanden. Knobloch ist lesbar unsicher im Umgang mit der Roman-Autorin, er zitiert sie sicherheitshalber erst einmal selbst: „Die Darstellung historischer Ereignisse kann Flucht aus der Gegenwart sein, wenn der Schreibende sich die Aufgabe gestellt hat, nur die historischen Vorgänge nachzuzeichnen. Sie kann aber auch, und so sehe ich meine Versuche an, den Leser und den Schreibenden an die Gegenwart heranführen.“ Muss betont werden, dass Schuder hier sowohl pro domo als auch im Sinne Knoblochs selbst zitiert ist? Zum Roman mit dem ellenlangen Titel „Die Erleuchteten oder Das Bild des armen Lazarus zu Münster in Westfalen, von wenig Furchtsamen auch der Terror der Liebe genannt“ aus dem Jahr 1968 (Union Verlag Berlin) hält sich Knobloch ganz auffallend zurück.
„Manche Leser halten es für ihr bestes Buch. Anderen ist es zu schwierig, es fehlt ihnen eine herausragende Person zum Festhalten.“ Knobloch hat ermittelt, nach welcher Quelle aus dem Jahr 1783 Schuder exakt erzählt hat, wie man Habichte zähmt. Vermutlich spielt das im Roman nicht die allergrößte Rolle, aber Feuilletonisten sind selten auf das Allergrößte aus, sie turnen am Kleinen und Kleinsten, bis es groß wirkt oder groß genug, was bisweilen in eins fällt. Knobloch weiß schon etwas vom erst 1975 erscheinenden Buch „Hieronymus Bosch“ und wieder zitiert er die Autorin: „Für mich ist der historische Roman kein Teilgebiet unserer Literatur, literarische Qualität als selbstverständlich vorausgesetzt. Ich glaube, wir müssen eine andere Einteilung vornehmen: engagiert oder zeitlos.“ Liebend gern würde ich hier den Zusammenhang kennen, aus dem das Zitat gerissen ist. So wie es wirkt, kann es kaum gemeint sein. Natürlich merkt der erfahrene Knobloch, was in seiner „Liebeserklärung“ fehlt: „O weh. Kein Wort über ihr Aussehen geschrieben. Ihre Leistung kaum gewürdigt. Alles nur mit Zitaten belegt.“ Ja, leider. „Nein, kein Terror des Porträts.“ Hält sich der Porträtist zugute. Was für eine findige Idee: Wer sich an die Gesetze eines Genres nicht halten will, nennt ihren Geltungsanspruch Terror. Vielleicht gibt es diese Gesetze gar nicht?