Kleist: Amphitryon, Theater Rudolstadt

Mutti Alkmene ist allein zu Haus. Der Gatte Amphitryon weilt in seiner Eigenschaft als thebanischer Feldherr im Kriege gegen Athen. Dort erringt er einen imposanten Sieg und weil das noch nicht in den Abendnachrichten kommen konnte in Ermangelung von Abendnachrichten, schickt er seinen Diener Sosias nach Hause, um einen Ruhmesbericht als Vorboten eigenen Kommens der Gattin darzubieten. Was der in Ehren ergraute Krieger und sein auch die besten Tage längst hinter sich habender Diener nicht ahnen können, ist Mythologie. Derzufolge befällt den obersten der Götter in gewissen unregelmäßigen Abständen das Bedürfnis, sterblichen Damen koital beizuwohnen, um mit ihnen halbgöttlichen Nachwuchs zu erzeugen. Mal macht er sich als Goldregen, mal als Schwan beliebt, auch als Stier hat er es mit Europa versucht und nun ist ihm Alkmene ins Auge gefallen. Der Teufel, den es noch nicht gab mangels Christentum, weiß, warum gerade diese Dame. Galt sie im Himmel, der weiland Olymp hieß und nicht ganz so weit oben war, als schwer zu knackende Festung oder als wilder erfahrener Feger, Jupiter jedenfalls will „es“ wissen. Und zwar schnell und genau.

Seine Idee: komme als Amphitryon, der lange enthaltsam leben musste im Felde gegen die Athener, dann musst du bei Alkmene, die lange enthaltsam leben musste als gute Gattin und trotz bereits gefeierter Silberhochzeit keineswegs bedürfnislos in ihrem Alkoven schlummert, nicht lange rumtricksen, Flirtzeit vergeuden, es geht Rubbeldikatz. Weil du die Macht hast, alter Donnerer, kannst du die Nacht, in der regelgemäß vollzogen zu werden pflegt, was eheliche Pflicht heißt, soweit der Spaß dabei die Nebenrolle spielt, in Grenzen ausdehnen und dann sollte es doch mit dem schon erwähnten präexistenten Teufel zugehen, wenn Alkmene und Jupiter nicht platt sind am Morgen wie nach einem Gang Bang zu zweit.

In Rudolstadt endet Kleists „Amphitryon“ mit einem „Ach“, das an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen ist. Dieser Alkmene, als sie erwachend nach dem eben überwundenen Schock den echten Gatten erblickt, Opa Amphitryon, der nun auf seine alten Tage Vater eines Herkules werden soll, entfährt schlichte Enttäuschung. Wobei der jammernde und heulende Göttervater, dem der Olymp ohne Liebe, wie er greint, öde ist, nächtens geradezu sensationell sein muss, um seine Tageslichterscheinung derart tolerabel zu machen. Oder gehört Alkmene gar zur antiken Gruppe von Frauen, die vor ihrer Hochzeit sagen: Diesen oder keinen und bald später: Jeden, nur nicht diesen?

Regisseur Jens Schmidl hat sämtliche Nebenrollen gestrichen, dafür eine zauberhafte Harfenistin (Dorothea Bach) auf die Bühne gesetzt, die gar nicht hätte spielen müssen, ihre strahlende Verbeugung zum Schluss war jeden einzelnen Cent des Eintritts wert. Mit der Nebenfolge freilich, dass für den Rest des Ensembles nicht übertrieben viele Cent übrig blieben. Während bei Kleist und in der Tradition, die er mit seinem Stück nach Moliere automatisch am Halse hatte, der komische Teil des Spiels, fast lupenrein der aristotelischen Lehre folgend, an die niederen Stände gebunden blieb, versucht Schmidl es anders. Er verwandelt den Jupiter in eine dickliche Witzfigur, die keuchend aus der Liebesnacht zu entfleuchen sucht, aber von der liebeshungrigen Alkmene verfolgt wird, die nur nicht „Do it again, Sam“ singt, weil das nach der gepfiffenen Internationale des Dieners Sosias dann vielleicht doch zu viel Butter unter der Mettwurst gewesen wäre.

Immer, wenn das Publikum lachte, was bei Komödien ja nicht aus der Art fällt, lachte es in Rudolstadt des Textes wegen, fast immer. Was für Kleist spricht und seinen Sprachwitz. Die vier spielenden Männer jedoch, Markus Seidensticker als Jupiter, Marcus Ostberg als Merkur, vor allem Horst Damm als Sosias und natürlich Hans Burkia als Amphitryon, waren eher unfreiwillig komisch, im Äußerlichen gar lächerlich, was nun wirklich das Werk flach klopft, wie es das nie und nimmer verdient hat. Grämlich, verdruckst und verkniffen taperte dieser Sosias mit seiner Laterne zu Beginn auf die Bühne. Wie seine drei Kollegen, aber immerhin erst nach der Pause, brüllte er  Text, statt ihn zu gestalten, und er nickte und nickte und nickte während seines Sprechens. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regie die Eindimensionalität männlichen Verhaltensrepertoires vorführen wollte, dann wäre das durchgängig sehr gelungen gewesen.

Immer wieder wenden sich die Darsteller direkt ans Publikum, die Reflexionen des Textes werden so zu Fragen oder Erklärungen für Zuschauer. Die sind dankbar in Rudolstadt, wofür das Theater dankbar sein sollte. Wenn hier einer vorzeitig geht, kommt er sicher von auswärts. Immer, wenn Kleist im Text die sehr frühen Zeichen setzt, wenn die Sätze seiner Figuren doppelbödig, abgründig und vor allem vorausweisend sind, reden die Darsteller darüber hin, als hätten sie das nicht gemerkt oder als wäre es ihnen nicht gesagt worden. Natürlich kann Sosias seiner Charis (Verena Blankenburg) mit dem Stock zwischen die Beine fahren, damit alle sehen, wie schnell sie ganz fibbelig wird, natürlich kann die getroffene Alkmene (Ute Schmidt) auf der von Gitti Scherer entworfenen weißen Schräge empor wanken wie weiland Uwe Seeler nach der Endspielniederlage gegen England aus dem Stadion, das sieht aber dann eben aus wie Schmierenkomödie. Und für die muss sich, bitte, bitte, Rudolstadt doch zu schade sein, wenn der Abend ein Kleistabend werden soll. Klamauk und Klamotte, das haben doch andere geschrieben.

Und nun nehme ich alles zurück: Man soll, wenn man zum Abend eine Flasche vorjährigen Chianti mit zwölf Prozent und einen ab- und ausgeruhten Recioto mit vierzehneinhalb Prozent bereit liegen hat, nicht den Recioto zuerst trinken. Selbst ein traumhafter Gallo Nero wirkt danach wässrig. Mein Pech wollte, dass ich den Recioto zuerst nehmen musste, weil es den Chianti umständehalber erst einen Tag später gab. Wobei ich einräume, dass Meiningen dem dicken Roten näher war als Rudolstadt dem Inhalt der Bauchflasche.
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