Franziska Gräfin zu Reventlow 150
Einen Skandalgrafen vermeldet die deutsche Literaturgeschichte nicht. Wir haben wohl in den Grenzen von 1945 einen Prügelprinzen, den aber verbindet mit Literatur nicht viel mehr als eine Amöbe mit einem Geistesblitz. Mit einer Skandalgräfin dagegen können wir aufwarten, falls wir uns den Wortbildungen beugen, deren Aufgabe letztlich nur darin besteht, in eine einspaltige Zeitungsüberschrift zu passen. Die Skandalgräfin ist nicht besser als die viel spätere Erfindung des Müllofens, der die Müllverbrennungsanlage handlich zu machen hatte für den Gebrauch des handelsüblichen Qualitätsjournalismus. Die so genannte Skandalgräfin hieß in voller Länge und Schönheit, wobei sie selbst keineswegs lang war und breit ebenfalls nicht: Fanny Sophie Auguste Liane Adrienne Wilhelmine Gräfin zu Reventlow. Den Rufnamen Fanny fand sie suboptimal, wie man das unter Bundeskanzlern nennt, und sobald ihr die Möglichkeit dazu gegeben war, nannte sie sich deshalb nur noch Franziska. Sie war, wie nachzulesen, das fünfte von sechs Kindern, vier Brüder darunter, von denen es zwei sogar bis in den deutschen Reichstag brachten, einen als Nazi.Geboren wurde sie in Husum am 18. Mai 1871, da lebte dort noch ein gewisser Theodor Storm.
Der lebte dort nicht nur als allseits beliebter und geachteter Amtsrichter, bis er die graue Stadt am Meer 1880 verließ, er war auch befreundet mit dem Landrat, der das Husumer Schloss als seinen Dienstsitz bewohnte. Sein Name: Ludwig Christian Detlev Friedrich Graf zu Reventlow (6. Januar 1824 – 14. Juni 1893), verheiratet mit Emilie Julia Anna Luise Gräfin zu Reventlow, geborenen Gräfin zu Rantzau (19. April 1834 – 19. November 1905). Storms DDR-Biograph Peter Goldammer vermerkt die Männerfreundschaft von Landrat und Amtsrichter wohl, der Landrat sei 1865 nach Husum gekommen, hält er eigens fest, verschweigt aber die Tochter. Dabei hat die schon am 12. März 1897 in der Frankfurter Zeitung „Erinnerungen an Theodor Storm“ veröffentlicht, die sich noch heute angenehm lesen lassen. Nicht nur, weil tatsächliche eigene Erinnerungen eingeflossen sind. Der Dichter Storm besuchte nämlich, auch als er schon in Hademarschen im eigenen Haus mit seiner zweiten Frau lebte, regelmäßig Husum und wohnte dann immer im Schloss. „Abends vermochten wir Kinder ihn öfters zum Erzählen von Geister- und Spukgeschichten zu bewegen, dann konnte ihn selbst das Gruseln so heftig ankommen, dass er stets eines von uns als Begleitung mitnahm, wenn er sich nach den entlegenen Gastzimmern, die er bewohnte, begeben wollte.“
Die leider vergessene Journalistin und Kritikerin Martha Maria Gehrke, auf www.weltbuehne-lesen.de fälschlich dem Geburtsdatum 1. September 1904 zugeschrieben, was bedeuten würde, ihre ersten beiden Artikel im „Blättchen“ wären schon vor ihrem 15. Geburtstag erschienen, was ruhigen Herzens auszuschließen ist, fand die schöne Formel von den „subjektivsten Ich-Büchern der Gegenwartsbelletristik“ (3. September 1929). Drei Jahre zuvor schrieb Gehrke: „Später verzichtet die Reventlow entschlossen aufs Objektive, sie stellt sich auf die Ich-Form ein, auf Tagebuch- und Briefromane und sie erreicht darin eine Vollendung, die um des Hypersubjektivismus willen nur einer Frau möglich, in der sie aber auch von keiner übertroffen worden ist.“ (4. Mai 1926) Immerhin: bei so viel Ich seitens dieses Gegenstandes, darf auch der Betrachter und Beschreiber sein Ich unverschämt bekennen ohne die üblichen Tarnformeln mit „man“, die ohnehin immer verlogen sind. „Man denkt an Lenbach“ hörte ich dieser Tage im Fernsehen, wohl wissend, dass niemand außer der Sprecherin an Lenbach dachte, weil niemand außer der Sprecherin Lenbach überhaupt kennt und dann auch gleich noch so gut, dass er all dessen Bilder vor Augen hat.
Ich also nenne meine hypersubjektivistischen Berührungspunkte mit der Gräfin jetzt gleich, um es hinter mir zu haben: als ich vor vielen Jahren meinen 50. Geburtstag feierte, es kamen Landrat und Oberbürgermeister, Landtagsabgeordneter und Fraktionschef, ohne dass die alle meine Freunde gewesen wären, nur ich war ihnen wichtig als Chef des Lokalteils, in dem sie sich alle gern sahen, da schenkte mir eine sehr liebe Buchhändlerin, deren Mutter einst zu den Mitgliedern eines von mir geleiteten Zirkels schreibender Arbeiter gehört hatte, ein kleines, feines Buch. Auf dem Schutzumschlag stand der Name Franziska zu Reventlow, der Titel lautete „Amouresken“, der Untertitel „Von Paul zu Pedro“. Ein einliegendes Blatt hielt dies für mich fest: „Lieber Herr Dr. Ullrich! Ein sehr netter sympathischer Herr hat einmal zu mir gesagt, er möchte in heutiger Überflussgesellschaft kein Buch geschenkt bekommen, was der Schenker vorher nicht gelesen hat oder zumindest kennt. Auch wenn es in diesem Fall nicht nötig gewesen wäre, da ja erst Sie mich auf diese Frau aufmerksam machten, so darf ich doch vergewissern, dass ich dieses Buch gelesen habe, und zwar gern.“ So einer war ich also einstmals: empfahl Buchhändlerinnen Autorinnen!
Mein Geschenk-Buch gehörte in die „Kleine Erzähler-Bibliothek“ des Münchener Martus-Verlages, dritte Auflage bereits, 153 Seiten stark. Zehn Jahre später archivierte ich eine dreispaltige Annotation aus dem einstigen Zentralorgan „Neues Deutschland“, die „Von Paul zu Pedro“ empfahl mit dem Untertitel „Amouresken“, jetzt auf 128 Seiten erschienen in der Edition Ebersbach. So weit, so schön. Erst in Kenntnis diverser Lebensdetails der Gräfin wurde mir bewusst, dass ich bisweilen schon auf ihren Spuren gewandelt war, ohne es zu ahnen. Im toskanischen Forte dei Marmi zum Beispiel, wohin sie mit ihrem Sohn Rolf, mit ihrem Geliebten Bohdan von Suchocki und mit Franz Hessel gereist war. Dort erlitt sie, was ihr 1894 schon einmal geschehen war, eine Fehlgeburt: zwei Mädchen, eines gleich, das zweite nach einem Tag tot. Das war am 26. September 1904. Nur fünf Wochen später reiste sie mit Suchocki und Sohn nach Hause nach München. Doch nicht mit der Bahn, wie man vermuten könnte: die drei reisten mit dem Fahrrad: Am 24. November erreichten sie die Kaulbachstraße 63 in München. Im Jahr 1902 verbrachte die Gräfin vier Wochen im Kurort Steben, den ich ebenfalls mehrfach besuchte, freilich nicht im Sommer wie sie. Selbst in Altenburg war ich inzwischen, wo sie unfreiwillig rund ein Jahr in der privaten Internatsschule „Magdalenenstift“ verbringen musste, doch nicht sie, sondern das dortige Theater zog mich hin.
Dass die große Radfahrerin Franziska zu Reventlow ausgerechnet an den Folgen eines Radunfalls stirbt am 26. Juli 1918, gehört zu den Treppenwitzen deutscher Literaturgeschichte. Auch dort ging ich her und hin zwischen Ascona und Locarno, wo sie zunächst ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof Santa Maria Selva fand, ehe sie 1981 an die Seite ihres am 12. Januar verstorbenen Sohnes Rolf umgebettet wurde. Rolf Reventlows Ehefrau Else (1897 – 1984) ist es, die sich als Herausgeberin der Werke ihrer Schwiegermutter bleibende Verdienste erwirbt, auch wenn die von ihr betreuten Ausgaben von 1925 und 1971 bis 1980 nicht immer allen streng wissenschaftlichen Kriterien genügen, was hier weder belegt noch widerlegt werden soll. „Eine Uniform“ hieß der erste gedruckte Prosatext der Autorin, am 7. Januar 1893 in den „Husumer Nachrichten“. Das erste Wort dort ist „Lawntennis“ - kursiv gesetzt, kein deutsches Wort, dennoch aufschlussreich. Lawn Tennis war die englische Bezeichnung von Rasentennis, erfunden und mit ersten Regelwerken versehen von Walter Clopton Wingfield (16. Oktober 1833 – 18. April 1917). Im Text, der nicht mehr als eine Druckseite umfasst, geht es um ein junges blondes Mädchen, das „liebesschwere traurige Küsse“ auf den Stoff drückt. Letzter Satz: „Und er wusste nichts davon.“ Eine lakonische Pointe.
Nach dem frühen Tod der Franziska Gräfin zu Reventlow war es nicht die schon erwähnte Martha Maria Gehrke, die ihr einen Nachruf in der „Weltbühne“ widmete, sondern der große Kritiker Harry Kahn. Er wählte als Titel „Der Tod der Bohéme“ und bezog den Maler Friedrich von Schennis (17. Juni 1852 – 4. April 1918) in seine Betrachtung mit ein. Kahn schreibt vom „Altklang ihrer altklugen Stimme“, „von Spott übertäubte Angst, von Witz übertönter Schmerz, das war Fanny Reventlows Leben“. Verblüffend liest sich, „dass Humor bei einer Frau um der Seltenheit dieses Vorkommens willen stets stärker wirkt, fast medusisch erschreckt. Und Fanny Reventlow war beinahe eine große Humoristin.“ Man denkt an Kurt Tucholskys Urteil über Irmgard Keun, wäre an dieser Stelle eine übliche Formulierung, was, siehe oben, natürlich Unfug wäre. Ich denke an das Urteil über Keun, weil ich es selbst mehrfach zitiert fand und zitiert habe. Man aber muss nicht einmal wissen, dass es eine Keun und einen Tucholsky überhaupt gab. Weil der Satz Harry Kahns mich zum Nachdenken anregt, zitiere ich ihn noch: „Denn Geburtsadel und Bohéme zeigen tiefe Verwandtschaft und Wahlverwandtschaft.“ Ähnlich tief geht es leitenden Leitmedien heute.
Wenn der „Spiegel“, weil es so schön ist, am 7. April 2007 ein Aktfoto der Gräfin aus dem Jahr 1900 druckt, dann folgen in aller medialen Unabhängigkeit und dem dazu gehörenden gebührenden Abstand die „Berliner Zeitung“ am 7. Juli 2011 und die Hamburger „Zeit“ am 15. Dezember 2011 mit just diesem Foto von der griechischen Insel Samos nach. Aktfotos bekannter Autorinnen sind selten, noch seltener die passende Information, dass das Modell zeitweise sein Geld auch mit echter und nicht nur mit kaschierter Prostitution verdiente. Damit kein falscher Eindruck entsteht: „Ihre Romane werden bis heute neu aufgelegt, doch von der Literaturgeschichte, die für Anmut und Amüsement nicht viel übrig hat, immer noch unterschätzt.“ So Elke Schmitter in diesem „Spiegel“, und auch so noch: „Sie ist die Ikone aller Alleinerziehenden“ (wenn das bewiesen werden müsste!); mit Franz Hessel und Bohdan von Suchocki bildeten Fanny und Sohn Rolf „eine Art Kommune 1 des Schwabings dieser Jahre“ (man muss halt den in die Jahre gekommenen Alt-68ern verständlich bleiben!). Wer sich der Mühe unterziehen würde, den unterschiedlichen Angaben zu den häufigen Wohnungswechseln der Gräfin in München und auch darüber hinaus nachzugehen, darf sich auf eine ergründende Magisterarbeit einstellen, jeder hat eine andere Zahl, keiner begründet sie.
Immerhin: es gibt auch Fakten und Werke: Fünf Bände umfasst jene Ausgabe des Oldenburger Igel-Verlags mit den blauen Leinen-Einbänden. Franziska Sperr, die 1995 im Münchener Goldmann-Verlag eine eigene Romanbiographie Reventlows vorgelegt hatte, lobte die blauen Bände in der „Süddeutschen Zeitung“ in hohen Tönen und ärgerte sich darüber, dass „einige alte Fehler und Fälschungen“ im Tagebuch-Band nicht korrigiert worden waren. Sperr: „Das kurze Leben der Franziska zu Reventlow war eine Abfolge von Seligkeiten und Katastrophen.“ Von Bernadette Conrad stammt die grandios hinterhältige Verbal-Vernichtung einer weiteren Biographie: der von Gunna Wendt, 2008 im Aufbau-Verlag erschienen. Wendt sei der Linie gefolgt, die Ulla Egbringhoff 2000 für ihre rororo-Monographie zog und habe sie um einiges München-Kolorit ergänzt. Dann aber formulierte Conrad, was eine Reventlow-Biographie leisten müsste, was, mit anderen Worten, Gunna Wendt eben nicht geleistet hatte. Eine dieser Anforderungen unterschreibe ich unbesehen, auch ohne Wendts Buch zu kennen, die fast auf den Tag vier Wochen vor mir Geburtstag hat und deshalb immer schon so alt ist, wie ich erst nach ihr werde: „Bleibt zu wünschen übrig eine Biographie, die geduldig genug wäre, um Widersprüche gegeneinanderzustellen ...“.
2018 ist dann eine weitere Biographie auf den Markt gedrückt worden, jetzt war der 100. Todestag von Reventlow wohl der äußere Anlass für die Kalkulation auf die Vergesslichkeit der Leser: im Berlin Verlag kam „Franziska von Reventlow“ heraus, Autorin Kerstin Decker. 28 Jahre vorher hatte ahnungsvoll Michael Bauer in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben: „Die Zahl der über sie verfassten Magisterarbeiten bauchbetonter Germanistinnen dürfte inzwischen an die Zahl der Liebhaber Franziska zu Reventlows heranreichen.“ Bauchbetonte Germanistinnen – heute müsste Bauer vermutlich nach einem organisierten Shitstorm seine Geburtsurkunde zurückreichen für solche Pfiffigkeiten. Ich aber zitierte Bauer als Beleg für die These, in der DDR sei doch nicht alles schlecht gewesen, denn Bauer fand, dass eine vom Dramaturgen der Deutschen Staatsoper, Dr. Walter Rösler herausgegebene Auswahl des Eulenspiegel-Verlages „die bislang wohl sinnvollste Auswahl aus dem erzählerischen Werk“ der Gräfin sei und sogar „ein Beleg mehr für evolutionäre Veränderungen im Verlagswesen der DDR“. Ich weiß nicht, ob Bauer später wegen solche Sätze vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Spät kam die Reventlow in die DDR und eine ihrer Vorkämpferinnen, Ursula Püschel, geriet an sie zuerst während ihres Germanistikstudiums bei Alfred Kantorowicz, den sie bekennend verleugnete, weil sie ihn später auch bespitzelt hatte.
Es ufert aus, und das nur wegen dieses Jubiläums. Ich habe noch keinen Satz aus den beiden Essays „Das Männerphantom der Frau“ und „Viragines oder Hetären?“ zitiert, die allein es lohnen, heute, 2021, inmitten all des diskursiven Schwachsinns um Rollenzuschreibungen aus Sprache, eine Frau zu Wort kommen zu lassen, die im wilhelminischen Reich nicht die von keiner Gefahr bedrohte Freiheit hatte, im Schutz von Gender-Lehrstühlen Unfug zu verkünden, sondern einfach weibliche, frauliche Freiheit lebte und ganz profan existentiell dafür zahlte. Die sich mokierte über bejubelte Theoriebildnerinnen wie Laura Marholm (1. Mai 1854 – 16. Oktober 1928). Und klug gegen sie argumentierte. Fast jeder Satz in diesen Arbeiten von 1898 und 1899 tritt heutigen Essentials aus feministischen Wechselreden, also, was man so Diskurse nennt, gegen die epilierten Schienbeine. Laura Marholm, das nur nebenbei, verdient dennoch und deswegen selbst alle Aufmerksamkeit. „Es ist auffallend, wie wenig die Literatur sich mit der Eifersucht des Weibes im großen Stil beschäftigt hat.“ „Frauen sagen und schreiben oft seltsame Sachen.“ Reventlow findet ein „Gretchenstadium“ in jeder Frau und spricht von „Bewegungsweibern“. Und sie zitiert und verteidigt Nietzsche.
„Der angebliche Weiberfeind hat das Weib besser verstanden wie es sich selbst jemals zu verstehen vermag, und es liegt ja auch in der Natur der Sache, dass ein Geschlecht immer nur vom andern Geschlecht richtig verstanden wird, niemals aber vom dem eignen, das immer durch die subjektive Brille sieht. Das Weib, mag es geistig hoch oder tief stehen, normal oder „exzeptionell“ veranlagt sein, seinem physischen Bau nach bliebt es doch immer zur Mutter geschaffen und daher ist die Bedeutung seines ganzen Geschlechtslebens mit seinen praktischen Konsequenzen eine ganz andere als beim Mann.“ Es gibt Sätze in diesen Essays, die feministische Parallelgesellschaften zu Auf- und Urschreie animieren würden, intonierte man sie dort hinreichend laut. Zitiert sei wenigstens einer: „Wie man von jedem Mann, der im Staat verwendet werden soll, den Beweis seiner Fähigkeit verlangt, so sollte man von jeder Frau verlangen, dass sie wenigstens einmal im Leben ein Kind zur Welt bringt, und danach erst beurteilen, ob sie ein brauchbares Mitglied der Gesellschaft zu sein imstande ist.“ Dazu einer, der ihr Selbst hemmungslos verallgemeinert: „Man kann oft genug beobachten, dass gerade Frauen, die viel geliebt und gelebt haben, die besten Mütter werden.“
Sie weiß auch, ehe sie 30 Jahre alt ist, dies: „Eine Frau, die eine Vergangenheit und womöglich noch eine Gegenwart hat, ist vor der Gesellschaft gleich dem Mann, der im Zuchthaus gesessen ist.“ Und sie kokettiert eben nicht, wenn sie da und dort in ihren hinterlassenen Schriften, im Tagebuch und den Briefen zuerst, das eigene Schreiben, nicht eben sehr hoch bewertet, was nie bedeutet, sie habe es nicht gern getan und ausgeübt. Aber sie glaubt dies sehr klar zu wissen: „Das einzige künstlerische Gebiet, wo die Frau wirklich Gleichwertiges mit dem Mann leistet, ist jedenfalls die Bühne – der eklatanteste Beweis, dass sie nur da etwas zu sein und zu leisten vermag, wo sie ihrem Geschlecht und ihrer aus demselben hervorgehenden Veranlagung keinen Zwang aufzuerlegen braucht. … das Material, mit dem sie hier zu arbeiten hat, ist sie selbst, ihr eigner Körper, ihre Stimme, ihre Bewegungen, und der Mann ist hier nicht der Konkurrent“. Bei aller Kritik, die später wie zwanghaft solche Positionen für ungültig erklärt, unterschreiben auch heutige Frauen höchst gern Reventlows Maxime: „Wir sind dazu da, es gut zu haben und uns nicht plagen zu müssen.“ Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die Rezeption ihres Lebens und ihres Werkes.
Eine erste These dazu lautet bis auf den heutigen Tag: Es wird immer ihr Leben zuerst, ihr Werk bestenfalls anschließend wahrgenommen und referiert. Eine zweite These: Alle schreiben, sie habe Malerei studiert, Zeichenunterricht genommen, sich auch als Bildhauerin versucht, das sei ihr sogar wichtiger gewesen als das Schreiben. Nirgends aber fand ich bisher, dass jemand ein Bild, eine Zeichnung, auch nur einen unvollendeten Gipstorso von ihr sah und beurteilte. Auch wenn längst die Behauptung zurückgewiesen wurde, sie sei Mittelpunkt, Königin oder dergleichen in Schwabing gewesen, was ja eine Homogenität der Bohéme voraussetzen würde, die es tatsächlich nie gab, die Behauptung ist unausrottbar, weil sie einfach abgeschrieben wird. Ein dritte These: Wer, und sei es auch nur dokumentierend, das Nachleben der Gräfin wissenschaftlich seriös verfolgen will, muss sich von der manischen Print-Fixierung lösen, die mehr als fünfzig Jahre nach Einführung des Internets buchstäblich von Tag zu Tag lächerlicher wird. Wenn also Rolf Löchel, seit 1999 für das Portal www.literaturkritik.de tätig, schlecht gelaunt registriert, dass die Herausgeberin der die fünfbändige Werkausgabe des Igel-Verlages ergänzenden Dokumentation „Über Franziska zu Reventlow (Oldenburg 2007) ihn vergessen hat, dann muss man ihm uneingeschränkt beipflichten.
Allein zwischen 2005 und 2008 hat Löchel sich fünfmal fundiert und substanzhaltig zu Reventlow geäußert. Die Kritik Löchels am Umstand, dass gemeinte Johanna Seegers eine wichtige Kritik von Lou Andreas-Salome zum Briefroman „Von Paul zu Pedro“ nicht in ihre Sammlung aufnahm, geht dagegen ins Leere, denn die Dokumentation stützt sich auf die Bibliographie des V. Bandes der Igel-Werkausgabe und dort fehlt Andreas-Salome, obwohl zum Beispiel Ursula Püschel in der DDR diese Kritik schon 1979 nicht nur kannte, sondern auch referierte. Womit eine weitere Kritik an der bisherigen Rezeption nachgetragen werden kann: DDR-Quellen kommen, bis auf Püschel, nicht vor. Das ist auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit fast durchgehend der Normalfall, wie sich anhand der Bibliographien im KLG leicht nachweisen ließe. Nach Kerstin Deckers Biographie von 2018 ist bisher noch keine neue herausgekommen. Die Kritiken dazu, die ich im Archiv habe, verzichten auffällig darauf, diese mit früheren Biographien zu vergleichen. Das wäre ihre Aufgabe, würde aber leider die Kenntnis der früheren Biographien voraussetzen, was für ein Kritiker-Honorar selbst einer Qualitätszeitung heute niemand mehr leistet. Stattdessen verraten Kritiker ganz offen, dass ein Blättern im Buch hinreiche, man finde dabei gelegentlich wirklich schöne Stellen. Immerhin. Doch.