Hundert Kerzen für Tendrjakow
Dass Wladimir Tendrjakow heute 100 Jahre alt geworden wäre, schreibt sich so hin. Natürlich wäre er nie 100 Jahre alt geworden, auch wenn er nicht bereits mit 60 gestorben wäre, vier Monate vor seinem nächsten Geburtstag. Er selbst hatte eine uns heute seltsam berührende Vorstellung von Alter: „ … aber er war kein kleiner Junge mehr, er war ein alter Mann, in vier Jahren würde er die Sechzig überschreiten.“ So lesen wir es in seiner Erzählung „Das Gericht“. Und dürfen folgern, dass sich der Autor damals auf keinen Fall als im besten Alter stehend fühlte. Das heutige „Best Ager“-Gerede aus der werbenden Wirtschaft und den Apotheken-Blättern hätte ihn amüsiert, steht zu vermuten. Wer mit 20 Jahren in einem mörderischen Krieg so schwer verwundet wird, dass Demobilisierung die Folge ist, sieht sich kaum als Greis im Kreise seiner Enkel und Urenkel, wenn er in die Zukunft blickt. Hinzu kommt, dass die Sowjetunion für einen 1923 geborenen Mann ganz generell kein Land der hohen Lebenserwartung war, die Nöte des Lebens müssen gar nicht nur in den Hungersnöten gesehen werden, die es gab. Als ich meine ersten Tendrjakow-Bücher las, lebte er noch, das war 1980, ich hatte eben meine Diplomarbeit in Berlin abgeliefert und er stand in einem Ruf, den mir die Lektüre bestätigte. Gut acht Jahre vergingen, bis ich erstmals über ihn schrieb.
Es wäre ein Exkurs zu machen über Sowjetliteratur in der DDR und die seltsamen Wege ihrer Rezeption. Wer Gorki in der Schule lesen musste, war oft für Gorki auf immer verloren. Ich gehörte zur wahrscheinlich überschaubaren Zahl derer, die Gorki schon als Schullektüre mochten. Ich kannte aber auch die Bücherschränke von Menschen, die man damals die „guten Genossen“ nannte. In den spärlichen Beständen, bestückt aus Prämien und Geschenken zu Jubiläen, fanden sich vor allem aus den frühen Jahren gruselige Titel der Stalin-Zeit, in denen es um Ernteerfolge und Schwerindustrie ging, um Stoßarbeiter und Traktoristinnen. Schon in den 50er Jahren wurden diese Bücher kritisch gesehen, sie verdarben vermutlich ganze Generationen von Lesern für immer oder lange. Auch Tendrjakow erschien seit Mitte der 50er in der DDR, zunächst im Verlag Kultur und Fortschritt, dann auch in anderen Verlagen, bis er bei Volk und Welt Berlin ein Hausautor wurde. Bis 1991 setzte das Haus die Edition der Werke in einheitlicher Aufmachung fort. Was im Westen erschien, war zwar mehr als nur Alibi, aber nicht annähernd gleichwertig, zumal es offensichtlich durchgehend an wirklich guten Übersetzern mangelte. Einen Ralf Schröder als Nachwort-Autor konnten die dortigen Verlage nicht aus dem Hut zaubern, ihn allenfalls in Lizenz übernehmen.
Und so schlägt bis heute eine unaufgeregte Unkenntnis vielerorts durch, die bis dahin geht, die so genannte Tauwetter-Periode, deren Name an den Roman „Tauwetter“ von Ilja Ehrenburg gebunden wird, über Gebühr zu dehnen. Man braucht schließlich ständig selbsthaftende Klebeetiketten zur Periodisierung von Vorgängen und Prozessen, die schon bei etwas genauerer Betrachtung genau dieser Etikettierung widersprechen. Die Debatte, ob Tendrjakow nun ein Vertreter, ein wichtiger Vertreter oder gar keiner dieser Mini-Periode war, würde ich gar nicht führen wollen, weil sie eine nutzlose Debatte wäre. Die Bücher sprechen ihre Sprache, sie sprechen mit ihren Inhalten, den Handlungen, den Dialogen. Sie verunsichern Leser wie alle aus dem Russischen übersetzten Bücher zunächst schon mit ihren Namen, die im Westen noch gern zusätzlich belastet werden durch die absurde Lautumschrift-Schreibung. All diese Namen auseinanderzuhalten, ist, zugegeben, nicht ganz leicht, zumal manche mal in Koseform, mal in vollständiger Folge mit Vor- und Vatersnamen erscheinen. Am Ende aber und unterm Strich schreibt Wladimir Tendrjakow herkömmlich, nicht experimentell, auch nicht im Sinne der frühen Sowjet-Moderne experimentell, er schreibt lesbar. Er schreibt kritisch, ohne seine diesbezügliche Ambition wie einen Bauchladen vor sich her zu tragen.
„Eine Literatur, die niemanden aufwühlt – bedenken Sie das! Es ist so paradox wie, sagen wir, ein Ofen ohne Wärme, eine Laterne ohne Licht.“ Lesen wir in „Die Nacht nach der Abschlussfeier“, Figurensicht natürlich, doch wo stecken denn die Autoren, wenn sie nicht selbst und eigens auftreten, als in ihren eigenen Figuren? Die Besseren unter ihnen haben bisweilen sogar die leicht hinterhältige Art, in mehreren ihren Figuren zu stecken, in gegensätzlichen unter Umständen und plötzlich sind das dann die mit den zwei Seelen in ihrer Brust. Wobei es mit dem Aufwühlen so eine Sache ist. Wer in einem Land lebt, indem die Gattin des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR als Volksbildungsministerin tätig ist, hat zu gewärtigen, dass Sätze wie der folgende die Falschen aufwühlt: „Ihnen dürfte aber bekannt sein, dass leider die Abiturienten in die Pädagogik gehen, die woanders nicht angekommen sind.“ Unter Margot Honecker durften Lehrer nicht nur nie Täter in Krimis sein, sie durften auch nicht als Berufsgruppe allgemein in Verruf gebracht werden. Da konnten dann in der „Lehrerzeitung“ schon mal Debatten vom Zaun geschubst werden, in denen selbst die eigentlich heilige Sowjetliteratur Flecken auf die Weste bekam, nach Gorbatschows Machtantritt entdeckte die DDR ohnehin unerwartet sich selbst.
Beim Nachlesen in der keineswegs üppigen Sekundärliteratur zu Tendrjakow in der DDR fällt mir auf, was seinerzeit, also etwa 1983 oder 1985 nicht ganz so krass, oder vielen vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Die Professoren, die das Recht auf Meinungsäußerung monopolisiert hatten, vielleicht war es ihnen auch nur auf dem Wege eingeräumt worden, wie heute die Feuilletons bis auf Widerruf immer wieder dieselben Namen anrufen, waren in einem Felde Künstler, das ihnen niemand freiwillig streitig machen wollte: sie verschwiegen, umgingen, übersahen, klammerten aus, verklausulierten, wo immer ihnen ein Berg heißen Breis begegnete, um den herum sie die Katzen spielen durften. Sie sagten beim Besprechen von Tendrjakow einfach alles Wichtige nicht, denn alles andere hätte bedeutet, die Sowjetunion zu „beschmutzen“. Denn was dieser und andere Autoren realistisch schilderten, ob das nun noch sozialistischer Realismus war oder ein Realismus ohne Grenzen, ein kritischer, ein analytischer, bleibt völlig unerheblich, war ein Land, dem man das Prädikat sozialistisch oder gar kommunistisch nur sehr widerwillig zugestehen mochte. Vor allem war es eine in Details gruselige Mangelwirtschaft, noch 1987 habe ich sie in Moskau und Minsk mit eigenen Augen gesehen. Und es war ein vormundschaftliches Land der gnadenlosen Intoleranz.
Wichtige Bücher von Wladimir Tendrjakow lagen buchstäblich auf Halde, ehe sie kleckerweise dann unter Gorbatschow und seiner plakativen Politik von „Glasnost und Perestroika“ erscheinen durften. Die Glasnost aber war für die DDR so grausig, dass ihre verblendeten und erblindeten Gerontokraten sogar den „Sputnik“ verboten, den lange kaum jemand gelesen hatte, der jetzt aber der Quotenhit unter allen periodischen Druckerzeugnissen geworden war. Offene Geheimnisse wurden jetzt enthüllt, sogar einige nicht ganz so offene. Und siehe: die Zeit unter Stalin war eine verbrecherische. All die Autoren, bei denen man anhand der Todesjahre 1936, 1937, 1938 vor allem vermuten durfte, dass sie ermordet worden waren, waren tatsächlich ermordet worden, all die deutschen Kommunisten, die im Exil im Vaterland aller Werktätigen ihre Leben verloren, sie waren tatsächlich in Lagern umgekommen, hatten Sippenhaft erlebt, waren an die Nazis ausgeliefert worden. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt war in der Sowjetunion Antifaschismus verdächtig, deutsche Kommunisten verstanden die Welt nicht mehr, ihre Werke wurden des Übertreibens oder gar Lügens verdächtigt. Insider wussten das alles, verrieten es aber mit keiner Silbe, mit keiner Andeutung, es wäre für sie nicht zuletzt auch das Eingeständnis eigenen Versagens geworden.
So geschah es mir, dass ich in Kenntnis von Tendrjakows „Sechzig Kerzen“ mit dem hochgejubelten und in Pusch-Auflagen vertriebenen Roman „Eine Anzeige in der Zeitung“ von Günter Görlich, den selbst kluge Leute lobten, obwohl er verglichen eben mit dem Stand der wirklich guten Sowjetliteratur der Zeit nur armselig war, nichts anfangen konnte. Und wenn ich heute meine Notizen durchschaue, bestehend aus den mir wichtig scheinenden Sätzen und Absätzen in den neun Tendrjakow-Bänden, die ich zwischen 1980 und 1989 las, alles in allem immerhin zwanzig Manuskriptseiten, dann fällt mir auf, wie wenig Marxismus-Leninismus dieser Autor vor sich hertrug. Die oft moralischen, manchmal nur moralischen Fragestellungen, die er erzählend behandelte, münden in Sätze, die auf eine allgemeinmenschliche, eine nicht klassenbedingte, klassengebundene Ethik hinzielen. Man könnte seinen Ehrgeiz auch einen auf dem Felde der philosophischen Anthropologie nennen, es gibt meines Erachtens teilweise verblüffende Bezüge zu Überlegungen des vor allem französischen Existenzialismus der fünfziger Jahre, es gibt eine nur schwer zu übersehende religiöse Grundierung, die sich über immer wieder auftretende Begriffe und Worte manifestiert. Tendrjakow sah Leo Tolstoi als einen seiner mächtigsten Ahnen, sich als Erben.
Angesichts all dessen aber schreibt etwa Karlheinz Kasper, Leipziger Professor, 1983: „Die Literaturwissenschaft hingegen wird Tendrjakow bisher nicht voll gerecht. Obwohl die Kritiker nicht wenig über ihn schreiben und streiten, existiert keine Monographie über sein Schaffen, und bei den Versuchen, seinen Platz im Ensemble der Sowjetliteratur zu bestimmen, herrscht Unsicherheit.“ Nicht obwohl, weil die Kritiker stritten, gab es keine Monographie, denn im realen sozialistischen Wissenschaftsleben durchliefen Bücher endlose Prozesse, ehe sie endlich im Druck erscheinen durften, denn sie mussten gewissermaßen die offizielle Sicht verkörpern. Subjektive Sicht war nicht gefragt, bestenfalls Randphänomen. Und das „Ensemble“ der Sowjetliteratur war zu keinem Zeitpunkt mehr als Fiktion, Ensemble setzt Zusammenspiel, vielfältige Einheit, einheitliche Vielfalt voraus. Selbst Sammelbegriffe wie Dorfprosa sind nicht viel mehr als das Wort Vierbeiner, das Hunde und Elefanten unter einen Terminus sortiert. Eine der immer wieder vorgetragenen Thesen Tendrjakows lautete: Die Schule bereite die Schüler nicht auf das Leben vor. Die Schule vermittle kein Bild des wirklichen Lebens, sie verbreite Wunschdenken, Geschichtsfälschung letztlich, auch wenn der Autor das meines Wissens so krass nirgends zum Ausdruck gebracht hat.
Was hilft es, Debatten darüber vom Zaun zu brechen, ob Tendrjakow eher einer analytischen, sozial-analytischen, problemhaften oder skizzenhaft-publizistischen Strömung zugeordnet werden sollte. Solche Debatten verschaffen den zum Verschweigen und Übersehen verurteilten Wissenschaftlern freilich den Freiraum für ihre Publizistik, mit vielen Worten wenig bis nichts zu sagen. Auch Willi Beitz, ebenfalls Leipziger Professor, hielt sich 1985 an die Vorgaben des inneren Zensors: die Sprengkraft nicht weniger Überlegungen des Russen ließ er konsequent unerwähnt, stattdessen wollte er festgehalten wissen: „Nicht immer ist es künstlerisch reife Prosa, manchmal schlägt die Publizistik durch, aber immer sind es gedankenreiche Parabeln der Subjektwerdung, der Herausbildung der sozialistischen Persönlichkeit und der Kollektivität.“ Als wäre tatsächlich für eine Literatur und ihre Vertreter eine neue Situation im tatsächlichen, im realen Leben zu meistern, wenn einer führenden Partei der alberne Gedanke kam, wieder einmal eine neue Etappe der Entwicklung vom Sozialismus zum Kommunismus auszurufen. Fremdartige Phänomene gab es tatsächlich im Sowjetleben, es waren aber Phänomene des Fortlebens, die wir heute nach der Implosion des betreffenden Weltsystems durchaus berechtigt für allgemeinmenschliche halten.
„Wer seine Überzeugungen mit Dolch oder Schafott verteidigte, hat höchstwahrscheinlich nicht sehr daran geglaubt. Er verbreitete Schrecken und lebte Arm in Arm mit der Angst.“ So ist es zu lesen in „Sechzig Kerzen“. Auch das ist dort zu finden: „Ich liebe die Geschichte so, wie sie ist. Was auch mit mir, mit dem Land, mit der ganzen Welt noch geschehen mag, ich weiß genau, es hat schon viel Schlimmeres gegeben, und ich wundere mich über nichts.“ Der staatlich erwünschte Optimismus würde sich anders ausdrücken. „Der Krieg gebietet: Wenn du nicht mehr leistest, als deine Kräfte hergeben, wenn du nicht alles herausholst, dann gehst du zugrunde. Das ist, als wollte man mit einer schweren Fuhre einen steilen Hang hinauf. Gibst du dem Pferd nicht die Peitsche, stürzt es ab.“ (Drei Sack Abfallweizen). „Davon würden sie später wohl endlos reden, von Jahrhundert zu Jahrhundert: der große Krieg, der heroische. Und wer würde daran denken, dass die heroischen Siege nicht von begeisterten, sondern von müden, grenzenlos erschöpften Menschen errungen wurden?“ In der offiziellen Sowjetunion wurde genau so geredet und auch in Putins Russland hat sich ausgerechnet daran wenig geändert. „Nur der, den das Gewicht des Erlebten zu erdrücken droht, weint Tränen der Freude und lacht im Leid.“ Auch so klingt dieser Tendrjakow.
Und wenn eine seiner Figuren etwas sagt oder denkt, ist es nie automatisch seine eigene Meinung. „Verdienste erwerben sich diejenigen, die keine Angst haben, sich zu versündigen.“ Das steht dann aber auf alle Fälle einmal da mitten im Text und es könnte nachdenklich machen. „Das ist es ja gerade, wir haben nicht alles gezeigt, haben uns gescheut, das Leben zu zeigen, wie es ist – ungeputzt, ungewaschen.“ (Die Abrechnung) „Nicht der ist ein schlechter Kerl, der gar nichts gelesen hat, schlecht ist der, wer nur ein einziges Buch kennt. Gefährlich sind nicht die Ungebildeten, sondern die Halbgebildeten. Wir haben das Buch der Moral nicht mal zur Hälfte durchgenommen, höchstens eine Seite davon.“ Das steht so ähnlich irgendwo bei Maxim Gorki . Immer wieder bildet Tendrjakow Sätze mit „der Mensch“, „die Menschen“, das ist gerade nicht gedankenlos, verweigert sich aber den Theorien der Klassengebundenheit, die bekanntlich sogar bereit waren, einem vorgeblichen Klasseninstinkt mehr Potential zur Wahrheitsfindung zuzutrauen als jeder wissenschaftlichen Arbeit. Kein Klasseninstinkt hat je den Beweis angetreten, es sei denn, er diente dazu, Intellektuelle unter Generalverdacht zu stellen. Bis an ihr Ende verdiente in der Sowjetunion jeder Taxifahrer in Moskau mehr als Akademiker an ihren Instituten und Universitäten.
„Liebe ohne Strenge, törichte Liebe, die das Kind eifersüchtig vor allem Schlechten behütet und es mit sterilem dünnem Brei päppelt, statt es an derbere Alltagskost zu gewöhnen – wie viele Mütter haben ihre Kinder damit verzärtelt und bleichsüchtige Krüppel oder unverbesserliche Egoisten, Schmarotzer großgezogen, die sich in keine Gemeinschaft einordnen können, sich und anderen das Leben vergällen. Was bei liebenden Müttern für unverzeihlich gilt, sollte liebevollen Pädagogen verziehen werden?“ (Die Abrechnung) „Kurz gesagt – lebendige, nach keinem Standard zugeschnittene Menschen können nur von lebendigen, nicht standardisierten Menschen unterrichtet werden.“ (Die Nacht nach der Abschlussfeier) „Resultat: Wir ziehen Menschen heran, die unaufmerksam gegen sich selber sind. Nun, und wenn ein Mensch nicht aufmerksam gegen sich selber ist, dann wird er es auch anderen gegenüber kaum sein. Die Daten, mit denen wir die Schüler vollstopfen, verflüchtigen sich, was bleibt, ist stumpfe Unaufmerksamkeit.“ (ebenda). „Es genügt nicht, ein Kombinat auf die Beine zu stellen, eine Straße anzulegen, den Menschen schönere Wohnungen zu geben. Das ist zwar nötig, aber es ist noch längst nicht alles. Man muss die Menschen lehren, wie man richtig lebt. Blinde Verehrung ist keine Liebe. Wahre Liebe ist aktiv.“
In „Das Gericht“ kann man diese Aussage finden. Der Glaube, schöne Eisenhüttenkombinate, schöne Plattenbausiedlungen an schon nicht mehr ganz so schönen neuen Straßen würden helfen, sozialistische Persönlichkeiten hervorzuzaubern aus den alten Evas und Adamen, war auch in der DDR durchaus verbreitet, bestenfalls nur unterschwellig. „Am anderen Ufer des Sees lagen viele Dörfer. Fast in allen hatten sich Überbleibsel des Altgläubigentums erhalten. Einem Mädchen, das vor der Ehe die Jungferschaft verlor, wurde in diesen Dörfern das Leben zur Hölle gemacht.“ (Der Fund). War das tatsächlich dieselbe Sowjetunion, die den ersten Sputnik und den ersten Gagarin in eine Erdumlaufbahn schoss? Den Altgläubigen konnten schon Gorki-Leser begegnen in seinen frühen Erzählungen lange vor den Revolutionen. „Habe ich nicht immer gesagt, wir brauchen eine Betonmole? Aber nein, zu kostspielig. Als ob es billiger wäre, den Großen aus dem Wasser zu ziehen. Das kostet mehr als ein neuer. Aber so ist es immer: Wir sparen im Kleinen und verlieren dann Unsummen.“ (Frühlingsspiel). Natürlich ließe sich fragen: Wen interessieren heute die Urdummheiten der sozialistischen Planwirtschaft? In einem Land, in dem es einer „Literatur der Arbeitswelt“ bedarf, um überhaupt andere als geistige Arbeit zu sehen, eine sehr dumme Frage.