Tagebuch

11. September 2019

Der Titel des komischen Beitrags mit dem „Lese-Flow“ hieß „Bücher als Impfstoff gegen platte Parolen“ und ist kaum besser als Friedrich Wolfs „Kunst ist Waffe“, das wenigstens noch in eine einspaltige Überschrift passt. Es darf zumindest keine Luft zwischen den Buchseiten sein, wenn geimpft wird, dann wäre es nämlich Mord, weshalb bekanntlich Schwestern gegen die Spritze klopfen, ehe sie einstechen und ein wenig raus lassen an die Luft außerhalb der Kanüle. Folgt man der Logik von „Report Mainz“, dann müssen Gemeinderäte der so genannten System-Parteien in ihren Dörfern stets gegen den Neubau eines Kindergartens stimmen, falls der Pfui-Teufel-Mann aus der AfD (wahlweise NPD) mehr Platz für die Dorf-Kleinsten will. Sonst wäre es, was verboten ist: Zusammenarbeit. Im Abspann sah man auch den „Ilm-Kreis“ unter den schlimmen Gegenden, in denen CDU und AfD schon gemeinsam gestimmt haben sollen. Heinrich, mich graust vor mir.

10. September 2019

Lange vor der Olsen-Bande reiste schon einer nach Jütland: Theodor Fontane. Nachdem ich im Wachau-Urlaub seine Italien-Reisetagebücher las und den Anfang des ersten Reisetagebuches, das eben nach Jütland führt, griff ich heute nach den „Reisebriefen aus Jütland“, sieben sind es an der Zahl, rasch gelesen und für mich mit allerlei angenehmen Assoziationen verbunden. Denn 1997 im August sah ich die Mehrzahl jener Orte rund um den Limfjord, die Fontane besucht und beschreibt. Auch die Orte und Gegenden in Südost-Jütland mit dem Zielpunkt Düppeler Schanzen kenne ich gut, sah mir den berühmten Kriegsschauplatz des Deutsch-Dänischen Kriegs von 1864, der mir allenfalls vom Hörensagen her vertraut war, aus nächster Nähe an. Das war aber zehn Jahre später, 2007. Neben Fontane heute auch alte Zeitungen der Vorwoche. Die neue Chefin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels schwärmt vom „Lese-Flow in Romanen“, was auch immer das ist.

9. September 2019

Ödestes Wetter. Daher Blick zurück ins Jahr 2004. Wir traten am 8. September die „Tour de France“ an, 15 Übernachtungen in 10 Hotels, wir sahen Paris wieder, Caen, St. Malo, Quimper, Tours, Bordeaux, Nimes, Cannes, Albertville, reihenweise tolle Erlebnisse, nur in den Pyrenäen eine so gnadenlose Überfütterung, dass wir kapitulierten, ehe wir platzten, in Nimes tippten wir auf alten Stier vom Stierkampf, als wir Rindfleisch auf dem Teller hatten mit zu weichen Nudeln, sonst gute französische Küche. Meine drei Joseph-Roth-Texte haben mich gut vertreten, die Post sah ich mir gestern nur flüchtig an. Vor neun heute schon ein lange überfälliges Päckchen, es rundet meine Hofmannsthal-Bestände ab. In der Wachau las ich in Fontanes Reisetagebüchern, schaffte mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte. Die Früchte der vergangenen Monate lasse ich bald zu Boden purzeln. Dann erst einmal vorbereitend Zahnarzt, die zweite große Runde rückt Schritt für Schritt näher.

8. September 2019

Eine Woche ist leider nicht länger. Wir sind die ersten im Frühstücksraum, die gefräßigen Leipziger fehlen noch, die lauten Sachsen mit Elmshorner Kennzeichen löffeln auch heute ihre Marmelade direkt in den Schlund, bis das Gläschen auf dem Tisch leer ist. Anschließend verpesten sie das gesamte Haus mit einem Höllenkäse, den sie dem nur für Zimmergäste vorgesehenen Kühlschrank entnehmen. Beide Paare untypisch, weil abweisend und unkommunikativ, was bei diesem eher breitmauligen Stamm sonst nicht zur Grundausstattung gehört. Die Vielfraße bestellten noch weiter bei Weixelbaum, als sie bereits die Rechnung bezahlt hatten, seltsame Wesen. 9.26 Uhr rollten wir ab, 11.18 Uhr passierten wir die Grenze, brauchten schließlich eine volle Stunde länger als für die Anreise. Jetzt waren wir in dem Endlosstau, den wir von der anderen Seite sahen vor Wochenfrist. Zu Hause eine wilde Weinschlepperei in den Keller, ich hatte lange und genussvoll zu sortieren.

7. September 2019

Endlich das neue Kunsthaus in Krems, auf jeder Etage eine andere Ausstellung. Wir erlebten den Baufortschritt in den vergangenen Jahren, der damit begann, dass der alte Parkplatz der Kunstmeile verschwand. Das Ausstellungskonzept führt dazu, dass man Egon Schiele in drei verschiedenen Ausstellungen finden kann, ebenso Oskar Kokoschka. Die eigentliche Entdeckung ist aber Franz Hauer (1867 – 1914), der in Weißenkirchen geboren wurde als Sohn eines Briefboten und später in Wien als Inhaber eines Lokals zu Ruhm und Reichtum kam, in dem so unterschiedliche Leute wie Karl May und Mark Twain verkehrten. Er wurde in den fünf letzten Jahren seines Lebens Förderer und Sammler von Kunst, wie es nach heutiger Wertung nach ihm keinen wieder gab in Wien. In Weißenkirchen kannte man ihn auch nicht, sein Name hat sich nicht erhalten. Zweiter Besuch bei Weixelbaum, drei Mitbringsel. Mehrere Gänge zum Kofferraum, um so viel als möglich zu packen.

6. September 2019

Nach Tulln, weil es dort angeblich eine neue Egon-Schiele-Ausstellung gibt. Neu sind aber nur die frühen Bilder unten, oben ist alles, wie wir es kennen, nur nicht vollständig zur Kenntnis nehmen konnten, weil es im vorigen Jahr zu voll war. Heute lange ganz allein im Haus, wir genossen alle elf Hörstationen in Ruhe. Wir mutieren langsam in Richtung Experten. Die frühen Bilder entstammen den Jahren 1905 und vor allem 1907, kleine Formate. Heimwärts nur die Vinothek in Krems, wieder ein Karton voll für zu Hause. 15.06 Uhr sind wir bei Weixelbaum die allerersten Gäste, setzen uns gleich neben die Tür. Der Seniorchef begrüßt uns wie uralte Freunde, wir hielten sehr lange durch. Wir hören die Geschichte der ältesten Weinpresse im deutschsprachigen Raum, die übers Fernsehen kam und nun für zusätzlichen Ruhm des Hauses sorgt, das nur viermal im Jahr für zehn Tage öffnet und wieder eine Goldmedaille für den 2018er Muskateller einheimste. Vorbestellung für morgen.

5. September 2019

Auf besonderen Wunsch einer einzelnen Dame und mit meinem gleichlautenden Begleitwunsch heute der Weg mit der Rollfähre über die Donau. Dann nach der Ruine Aggstein. Auch hier nahmen wir den Audioguide, hörten an, was wir schon einmal hörten, genossen die herrlichen Rundblicke, die wir schon kannten. Es gibt dreiste Menschen, die sich ohne eigenen Guide neben einen stellen und mithören wollen. Blick auf Willendorf, man sieht die Fundstelle, wenn man weiß, wo sie zu finden ist. Rückwärts über Rossatz zur Autofähre, in Rossatz drei Weine direkt vom Gut, ein helles Nepomukstandbild aus dem Jahr 1721. Die Rollfähre jetzt besser besetzt, bei der Hintour waren wir ganz allein an Deck. Bei Ferdl Denk geht ein Mitnahme-Wein nicht auf die normale Rechnung, es gibt eine zweite, die auch nicht mit Karte bezahlt werden kann. Hier trinken Menschen auch Bier und Kaffee, ein Buschenschank im Sinne der Regeln ist das also nicht. Dafür hat er fast immer auf.

4. September 2019

Vor 30 Jahren starb Georges Simenon, den alle für einen Franzosen halten, obwohl er ein Belgier ist. Er war einer der ersten, wenn nicht der erste, von dem Bücher eines West-Verlages direkt und ohne Umweg über eine Lizenz in der DDR verkauft wurden. Wir besuchen heute Schiltern mit seinen „Kittenberger Erlebnisgärten“, von denen wir womöglich nie Notiz genommen hätten, wenn nicht ein guter Tipp meiner Haupt-, Dauer- und Staatskorrektorin uns dorthin geführt hätte. Eine von vorn bis hinten tolle Anlage, sogar mit einigen Tieren: Alpakas, Känguruhs, vielem für Kinder. Schiltern hat auch eine Brauerei, deren sechs Sorten ich mit ins Auto nahm. Auf dem Rückweg hielten wir am Loisium auf der Suche nach weiteren Sammelstücken Muskateller, die Ausbeute: 9. Zweiter Besuch in Joching bei Höllmüller. Zurück nach Weißenkirchen allein, unsere Regensburger Bekannten, die wir am Sonntag trafen, sind wieder abgereist. Ein Weg von gut 2000 Schritten nur.

3. September 2019

Eine neue Ausstellung gibt es auch im Stift Dürnstein: „Entdeckung des Wertvollen“. Wir fuhren zuerst durch Oberloiben und Unterloiben, hielten am Denkmal für die Schlacht bei Loiben im Jahr 1805, ein Radfahrer blieb auch gleich neben uns stehen und studierte die Gedenktafel. Wir schauten kurz zur Vinothek der Domäne Wachau, zahlten für die Ausstellung wieder Senioren-Preis, noch immer etwas gewöhnungsbedürftig, aber es läppert sich in ein paar Tagen doch etwas zusammen, was man spart. Aus der Domäne nahmen wir nur Grünen Veltliner mit, Muskateller aus Dürnstein und aus St. Michael, wohin wir wieder mit dem Bus fuhren, drei verschiedene Sorten, darunter auch ein Frühroter, den kaum noch ein Winzer im Angebot hat. Kuriosität: der Busfahrer ließ uns auf der Rücktour kostenlos mitfahren. Bei Bayer lernten wir ein Paar aus Krems und Wagram kennen, die schon in Arnstadt waren, es dort wenig toll fanden. Wir sprachen vom Ilmenauer Rektor in Krems.

2. September 2019

Sechs Stunden und eine Minute brauchten wir bis hierher, Stau sahen wir auf der Gegenfahrbahn, den allerdings endlos. Der 125. Geburtstag von Joseph Roth ist verregnet, dank Wetter-App sind wir gut darauf vorbereitet und fahren heute wie in jedem Jahr zur Schallaburg. Die 2019er Ausstellung heißt „Der Hände Werk“, der Titel hat nicht nur uns zunächst etwas irritiert, dann aber sahen wir, was dem Titel an Stoff abgerungen wurde. Handabdrücke zum Beispiel: Alfred Kubin, Karl Kraus, Marie von Ebner-Eschenbach, Gestisches, Handwerkliches. Audioguide wie in den vergangenen Jahren unverzichtbar. Ein Bild zeigte uns den heiligen Homobonus, Patron der Stadt Cremona und der Schneider. Die ersten Sammelstücke Gelber Muskateller sind beisammen, gekauft gestern in der Vinothek Thal und im Bauernladen, der sonntags geöffnet hat, heute in der Vinothek Fohringer und in Spitz. Erkenntnis nach nur zwei Heurigen-Tagen: die Achtel-Preise haben deutlich angezogen.

1. September 2019

Neun Stunden brauchten wir von der Keplerstraße bis zum Novotel in Breslau am 1. September 2004. Es war unsere allererste Polenreise, wir passierten das grauenhafteste Stück Autobahn, das wir je sahen mit unzähligen Klein-Baustellen in vollkommen unterschiedlichen Phasen, zum Teil waren Männer mit Spaten zugange. Selbst die Buckelpiste, auf der wir 1995 nach Swinemünde zur Fähre gen Bornholm reisten, Urzustand Adolf Hitler, war geradezu mustergültig, verglichen mit dieser schlesischen Strecke. Vor Ort dann positive Überraschung nach positiver Überraschung, wir bewohnten das Zimmer 140. Warum waren wir eigentlich, als es visafreien Verkehr mit der DDR gab, nie in Polen, auch in der CSSR nie, nur einmal zu Fuß? Heute legen wir 620 Kilometer zurück, die Ferienwohnung „Mariandl“ zu erreichen. Wir haben vorab den Heurigenkalender studiert, wissen, wer in diesem Jahr für uns geöffnet hat. Einer unserer Lieblinge fehlt 2019 durchgehend.

31. August 2019

Wieder ein August zu Ende, vor zehn Jahren sahen wir den kleinen Zoo in Gossau, wo ich mir die kindliche Freude gönnte, ein kleines Zebra und einen riesige Yak-Büffel zu berühren. Wann war es, da meine Hand auf dem Rücken eines Tapirs lag, eines Zwergflusspferdes? Man muss Glück haben: einmal erwischte ich sogar ein Kapivara, das schnöde oft einfach Wasserschwein genannt wird. Erst kürzlich in Neuruppin sah ich nur nach langem Suchen das Kapivara im Schatten eines Zaunes, weit weg von den Besuchern. Bürger voller Migrationshintergrund betrachteten sehr erstaunt die Maras, oder war das in Berlin? Mit den Zoos geht es mir mittlerweile wie mit den Saunalandschaften: wo welcher Aufguss mich erfreut hatte, lässt sich nicht mehr klar sagen. Man merkt sich nur die Fälle, wo man nach Einfall osteuropäischer Badehosenträger auf keinen Fall wieder kommen wird. Die Osteuropäer können auch Belgier sein. Nun noch etwas Vorfreude auf morgen: nach Süden geht’s.


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