Tagebuch

12. Oktober 2025

Mit diesem Busfahrer Frank sind wir schon in Sardinien gewesen und zuletzt in Ungarn. Er fährt gern eigene Strecken und es sind immer gute Entscheidungen. Wir vermieden mit ihm einige Staus, fuhren durch München, wo andere außen herum rollten. Er bevorzugt Garmisch-Partenkirchen, es ist eine hübsche Strecke. Levico Terme kennen wir von zwei Zwischenübernachtungen von der Rom-Reise 2022, jetzt kommen fünf Übernachtungen hinzu. Für Italien ergibt das dann 222, sieben weitere in Venedig 2026 sind schon gebucht. Die Überraschung vor Ort: Wir haben Zimmer 114 mit Balkon und einer Duschkabine mit gläsernen Wänden. Klarglas, nicht Milchglas, also volle Sicht. Die meisten tragen es mit Fassung, die vielen alten Paare wissen, wie sie aussehen, wenn sie nichts anhaben, es gibt aber unter allein reisenden Frauen auch die Stimme: So gut kennen wir uns wieder nicht. Nahe am Hotel ein Supermarkt zum Einkauf des Balkonweines, Kühlschrank ist vorhanden.

11. Oktober 2025

Der 97. Geburtstag meiner Mutter fällt zusammen mit dem 200. von Conrad Ferdinand Meyer. Noch immer wartet „Engelberg“ darauf, zu Ende gelesen zu werden. Nicht weniger als fünf Meyer-Bücher liegen direkt vor meiner Nase unterm Bildschirm, drei davon zu Ende gelesen, zwei warten noch. Mein Zeitungspacken ist heute wegen der Buchmesse dick und teuer, immerhin ist alles da, was ich haben wollte. Ich bestelle für kommende Woche nur die Junge Welt, die mit ihrer Beilage regelmäßig weit weg ist von dem, was sie wohl als Mainstream verstehen. Freilich liest die Bücher, die sie bejubeln, niemand außer ihnen selbst und ihrem radikalen Fanblock. Da wir morgen bereits um 4.20 Uhr am Busbahnhof sein müssen, nehmen wir uns vor, nichts bis auf den letzten Moment zu verschieben. Koffer fertig, Reiseverpflegung im Kühlschrank, alles kontrolliert. Wir vergessen immer irgendetwas. Möge es zur letzten Reise 2025 nichts Wichtiges sein. Wecker sind gestellt.

10. Oktober 2025

Nach dem ungarischen Literatur-Nobelpreis gestern (László Krasznahorkai) heute der für Frieden doch nicht an Donald Trump, sondern an Maria Corina Machado. Den einen kenne ich ein bisschen, die andere gar nicht. Vom einen kamen Romane auf kleine Bühnen in Thüringen und auf die große der Staatsoper in Berlin. Ich frage gar nicht erst lange, was Romane auf Opernbühnen zu suchen haben. Brecht wollte einst das Kommunistische Manifest in Lyrik verwandeln, einige Schriftsteller im Kleinstaat DDR widmeten sich der Herausforderung, Parteitagsthesen in nichtantagonistische Konflikte schaffender Werktätiger aus der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Bauern zu übersetzen. So hatten wir phasenweise schon eine sozialistische Menschengemeinschaft in der Literatur, die im Leben noch nicht einmal zur frühsozialistischen Hausgemeinschaft hatte gedeihen wollen. Immerhin: sowohl meine Eltern in Gehren als auch ich führten kurzzeitig das Hausbuch.

9. Oktober 2025

Mit heutigem Donnerstag erreiche ich Seite 205 in „Alte und neue Berliner Grabsteine“, nachdem ich Anfang September beschlossen hatte, dieses Buch wie ein unbekanntes zu lesen, obwohl ich „Berliner Grabsteine“ schon kannte. Doppelt hält besser, ist das Motto, zumal die erweiterte West-Ausgabe ja keineswegs einfach nur nachträgt, was neu hinzukam seither. Den Friedhof Herbert-Baum-Straße 45 kenne ich inzwischen selbst ganz gut. Isidor Kastan bekam seinen Vornamen, der seinem Kollegen Engel vom schreibenden Grabstein-Wanderer vorenthalten wurde. Der Satz am Ende meines Lektüre-Happens stammt von Karl Werder, der einst Professor war: „Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist, dass man lächelt, wenn man sich seiner erinnert.“ Karl Friedrich Werder war ein Hegelianer in Berlin. Lächelt jemand bei Hegelianern? Einer hieß Karl Marx ohne Friedrich dazwischen. Da lächeln dann doch einige, die seinen Frühschriften huldigten.

8. Oktober 2025

In Südkorea feiern sie heute den Tag des koreanischen Alphabets. Es sei ihnen gegönnt. Was haben eigentlich die Nordkoreaner für ein Alphabet? Es ist Welttag der Kraken, die wir alle als Propheten des Fußballs schätzen und in den USA Tag der Piroggen. Woher wissen die Amis, was Piroggen sind? Haben sie sich das Rezept am Stuttgarter Platz geklaut oder schenken lassen in Berlin, als die Russen aus den Kellern kamen, wo sie Kohlen klauten? Wolfgang Heise wäre heute 100 Jahre alt, der sich einigen rückblickend in den Größten der Großen verwandelt hat, die längste Praline der DDR-Philosophie gewissermaßen: das für Leser mit Notabitur nach 13 Jahren. Unsereiner liest weiter tapfer Jens-Gerlach-Gedichte: „Dorotheenstädtische Monologe“. Der lässt Ludwig Devrient, den großen Mimen, klagen: „Die meisten meiner vielen Rollen / schrieb der Kassierer, nicht ein Dichter vor!“ Und sagen: „sogar ein Ehrengrab ist nur ein stummes Loch!“ Zwei Ausrufezeichen!

7. Oktober 2025

Was haben wir früher gefeiert! Was haben uns Bürger aus dem alten Bundesgebiet verraten, dass manche immer noch an diesem Tag heimlich anstoßen, Flasche im Schreibtisch links. Empörung wallte. Wer nicht pflichtgemäß die Gänsehaut des Grauens auf dem Rücken bei Bedarf vorzeigen konnte, musste sich als roter Kniestrumpf verdächtigen lassen. Hans Hartz, der Sangesbruder, sang: für uns alle „Die weißen Tauben sind müde“ und ehe er noch 60 Jahre alt wurde, sank er. Er war nicht der Erfinder von Hartz I bis III. Und IV kam erst posthum. Wir hatten für eine Weile den am schnellsten zu- und abnehmenden Außenminister nach dem Krieg. Ihm und seinen Hustentruppen verdanken wir alle die doppelte Besteuerung und die doppelte Krankenversicherung betrieblicher Altersversorgungen, was mir einen fünfstelligen Betrag aus Herz und Börse riss. Seither ist Rot-Grün für mich: ich verrate es nicht. Ist der letzte Euro nach zehn Jahren nachgezahlt: null Pardon.

6. Oktober 2025

Und schon landen „okzidentale snapshots“ im Register. Die alberne Kleinschreibung regt mich seit Jahren nicht mehr auf, die fehlende Interpunktion nervt nur als eine Marotte. Niemand käme mehr auf die Idee, solchen Formquark als seine private Revolution gegen was eigentlich zu verkaufen. Ein Blick ins Verzeichnis der kuriosen Feiertage offenbart: heute ist Nudel-Tag, Knoblauch-Tag und Tag des verrückten Hutmachers. Gar nicht kurios sind der ebenfalls aufgeführte Internationale Tag der Architektur und der Europäische Tag der pflegenden Angehörigen. Vielleicht gibt es in schwer zugänglichen Bergregionen auch den Tag des überforderten Personals oder den Tag der Zitronen-Presse. Die Amerikaner scheinen nicht nur den größten Präsidenten aller Zeiten zu haben, sie haben auch die größten Feiertage vorsichtshalber nur für sich: morgen noch den Tag der Badewanne und den Obst-am-Arbeitsplatz-Tag, wir nur den deutschen Tag des Mineralwassers und nix mit DDR.

5. Oktober 2025

Die aus dem Urlaub mitgebrachte Erkältung klingt so weit ab, dass wieder Schritte gelaufen werden können. Wie immer in solchen Fällen beschuldigen wir die Klimaanlage des Busses, die beschwert sich nie, wenn wir sie in ein schlechtes Licht stellen. 25 Jahre ist es her, dass wir auf Nachrichten von unserer Tochter warteten, die wir am 30. September in Calais dem Hovercraft gen England übergeben hatten. Allerhand Trennungsschmerz. Später lief alles immer besser. Vor zwanzig Jahren warteten wir auf unsere erste und bis heute einzige Kroatienreise, die näher rückte. Unter denen, die heute ihren 77. Geburtstag feiern, ist einer, den ich seit Jahren nur noch sehr selten sehe und immer, wenn mir das auffällt, bin ich eher froh, dass es so ist. Vor 25 Jahren landete er wegen seines Geizes in meinem Tagebuch. Für sein Frühstücksmüsli sortierte er Brauchbares aus Vogelfutter und war sehr stolz auf diese seine Entdeckung. In guten Momenten schlug er drei bis fünf Gitarren-Akkorde.

4. Oktober 2025

Klar, was heute gefeiert wird. Ich habe keine Lust, schon wieder an das alberne Hupkonzert auf dem Markt in Eisenach zu denken, wo junge Autofahrer mit Fahnen kreisten und brüllten und wir Anlernlinge des Westens komische Gefühle entwickelten. Gore Vidal wäre heute 100 Jahre alt, von dem ich Bücher besitze wie „Die vergessliche Nation“, „Betrachtungen auf einem sinkenden Schiff“, „Ewiger Krieg für ewigen Frieden“. Nicht zu vergessen: „Das ist nicht Amerika“, von Willi Winkler herausgegeben. Unsereiner verkneift sich gern den Flug nach Amerika. Nicht weil er als ehemaliges FDJ-Mitglied theoretisch dort verhaftet werden könnte. Ich möchte mich einfach nicht zum USA-Experten qualifizieren, nur weil ich mit dem Mietwagen drei Wochen auf dem einen oder anderen Highway gerollt bin. Ich beginne hier und heute „okzidentale snapshots“, Gedichte, mit denen Jens Gerlach den faulenden und sterbenden Imperialismus geißelte, dem er via DDR entfloh.

3. Oktober 2025

Klar, was heute gefeiert wird. Ich habe keine Lust, schon wieder an das alberne Hupkonzert auf dem Markt in Eisenach zu denken, wo junge Autofahrer mit Fahnen kreisten und brüllten und wir Anlernlinge des Westens komische Gefühle entwickelten. Gore Vidal wäre heute 100 Jahre alt, von dem ich Bücher besitze wie „Die vergessliche Nation“, „Betrachtungen auf einem sinkenden Schiff“, „Ewiger Krieg für ewigen Frieden“. Nicht zu vergessen: „Das ist nicht Amerika“, von Willi Winkler herausgegeben. Unsereiner verkneift sich gern den Flug nach Amerika. Nicht weil er als ehemaliges FDJ-Mitglied theoretisch dort verhaftet werden könnte. Ich möchte mich einfach nicht zum USA-Experten qualifizieren, nur weil ich mit dem Mietwagen drei Wochen auf dem einen oder anderen Highway gerollt bin. Ich beginne hier und heute „okzidentale snapshots“, Gedichte, mit denen Jens Gerlach den faulenden und sterbenden Imperialismus geißelte, dem er via DDR entfloh.

2. Oktober 2025

Dem gestrigen 100. Geburtstag von Benno Pludra kann ich nur noch den Blick auf meine zehn Jahre alte Arbeit zu „Bootsmann auf der Scholle“ widmen. Lesezeichen stecken in mindestens vier Büchern, wo etwas von Pludra beginnt. Wann ich das lese und ob ich daraus noch etwas mache, steht zwar nicht in den Sternen, aber auch in keinem Nacharbeitsplan. Es käme viel zu viel vor der nächsten Reise. Immerhin trage ich heute „Das Werk Conrad Ferdinand Meyers“ in mein Register ein, die Vorarbeit in Spanien ließ nur mir noch einen Rest für zu Hause. Martin Viertel, der sein öffentliches Schaffen über viele Jahre nebenberuflich als IM Kurt erweiterte, starb 2005 vor seinem 80. Geburtstag. Ich saß 1975 in seinem Prosaseminar in Schwerin, da war er wegen seines dicken Romans „Sankt Urban“ gerade berühmt und Matthias Biskupek saß neben mir, der war noch völlig unberühmt. Für heute hätte ich „Die Igelfreundschaft“ lesen können, vielleicht hole ich das nach.

1. Oktober 2025

Nimmt man alles in allem, dann ist man natürlich ewig unterwegs, bis man endlich das Gepäck aus dem Fahrstuhl zerren kann. 21.03 Uhr die Meldung an die Familie: Wir sind wohlbehalten und ohne größeren Stress wieder zu Hause angekommen. Noch zeitig genug, die Post bei den Nachbarn zu holen. Die Mails, die ich auch auf dem Handy sehe, sind alle schon gesichtet und gelöscht, soweit sie nicht auf eine Antwort warten. Die anderen sichte ich am PC, fast ausschließlich Newsletter. Sie abzumelden, führt zu nichts, wie ich erfahren habe, das Löschen dauert nie unendlich lange. Der Tag begann mit einem Schock für Busfahrer, Reiseleiter und eine Mitreisende. In den Bus wurde eingebrochen. Kein Schaden am Bus zum Glück, der die Weiterfahrt gefährdet hätte. Diebstahl, der den Reiseleiter Marian einen großen Schinken und seine Lederjacke kostete, eine Frau alle Präsente für zu Hause, die im Gepäcknetz lagen, zwei weitere Lederjacken. Unsere Regenjacken unbeachtet.


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