Tagebuch

23. Februar 2018

Der nächste etwas rundlichere Geburtstag von Erich Kästner lässt noch ein volles Jahr auf sich warten, deshalb heute nur ein winzig kleines Zitat aus dem Jahr 1945, Juni: „Das Gewissen ist um 180 Grad drehbar. Doch man muss ihm etwas Zeit lassen.“ Es grassierte, wie er auch schrieb, in jenen Tagen die Unschuld. Der 23. Februar ist auch mit einer Dame verbunden, der ein sehr treuer Fan sintemalen das Kompliment machte, sie sei die schönste Moderatorin von Dresden Fernsehen. Die schönste ist sie immer noch, nur halt nicht mehr Moderatorin. Es geht das Gerücht, sie reise, wenn sie mit dem ihr seit vielen Jahren angetrauten Gatten in Länder reise, deren Weinproduktion zu wünschen übrig lässt, mit eigenen Weinschläuchen an, die auf dem Rücktrip dann leer sind. In Russland begehen sie heute einen von Lenin 1918 eingeführten Feiertag, damals wurden die ersten Rekruten zur Roten Armee eingezogen. Da muss man Russe sein, um so etwas feiern zu können?!

22. Februar 2018

Das Wort Arbeiterschriftsteller hatte, aus DDR-offiziellem Munde gesprochen oder aufgeschrieben, eine abschreckende Wirkung. Wohl kannte ich aus den Bücherregalen meiner Eltern Karl Grünberg und Hans Marchwitza, vor allem natürlich Willi Bredel, aber die Produktion der frühen 50er Jahre fand sich bald selbst in den Literatur-Lehrbüchern des Landes als schematisch, als konfliktscheu gekennzeichnet. Ich ignorierte sie. Dass ich dem „Arbeiterschriftsteller“ Theo Harych mit meiner Ignoranz unrecht tat, ist mir erst jetzt wirklich aufgegangen. „In der Nacht zum 22. Februar 1958 nahm er sich das Leben, erhängte sich in seiner Wohnung.“ Lese ich bei Jürgen Serke in dessen wichtigem Buch „Zu Hause im Exil. Dichter, die eigenmächtig blieben in der DDR“. Harych hätte ich, ahnungslos wie ich war, in einem solchen Zusammenhang nicht vermutet. Noch 1988 schwieg sich eine namhafte DDR-Tageszeitung zu seinem Tod und seinen Konflikten im Land schlicht aus.

21. Februar 2018

Aus dem Nachmittag ist Nacht geworden, bis die Druckerei endlich die Lieferbarkeit des Titels bestätigte: nun also erwarte ich die Lieferung selbst. Das Warten hatte einen positiven Nebeneffekt, ich entmistete meine Outlook-Ordner, führte uralte Korrekturen aus an längst im Netz stehenden Texten. Und nun schreite ich leicht beschwingt dem Monatsende entgegen, das in diesem Jahr leider keinen 29. Februar vorrätig hält, an dem ich einen Blick zu Herbert Ihering hätte werfen können, von dem ich gerade drei Bücher gleichzeitig lese. Mal sehen. Heute gibt es die Hamburger ZEIT genau 72 Jahre, die ich zuerst noch als Kulturbündler in der „Alten Försterei“ im Gratis-Abo lesen durfte. Später ging ich dazu über, sie mir Donnerstag für Donnerstag selbst zu holen. Die Briefe des Chefredakteurs befreie ich jeweils aus dem Umschlag, ehe ich sie in den Papiermüll werfe, ich finde die Fragen meist unbeantwortbar, die ich beantworten soll und brauche auch keine Präsente.

20. Februar 2018

Meine Abwesenheit am Jubiliergeburtstag erfordert Absprachen mit allen, die einen unabweislichen Drang haben, mir dennoch zu gratulieren. Es gibt liebe Menschen, die mir sogar aus Thailand Fotos von dortigen Bieren senden, damit ich wählen kann, welche ich noch nicht kenne. Der Verlag, den die mir angetraute Gattin vor reichlich anderthalb Jahren in ihr ungeteiltes Eigentum brachte, steht unmittelbar vor der Edition des ersten eigenen Titels in ihrer Regie, mir wurde signalisiert, ich könne am heutigen Nachmittag das erste Probeexemplar bestellen. Wenn das den Beifall des Hauses findet, kann in der Woche, in der sich der Februar verabschiedet, der Weltmarkt sich voll Schwung darauf stürzen. Vermutlich muss er erst Anlauf nehmen, wie ich den Weltmarkt kenne. Den Autor des Buches kenne ich recht gut, auch wenn ich manchmal nicht in seiner Haut stecken möchte. Es ist, weiß ich, eine ziemlich ehrliche Haut mit akuter Neigung zur Selbstausbeutung, also wie ich.

19. Februar 2018

Noch immer warte ich, dass aus meinen gesendeten Dateien das Ergebnis wird, das es werden soll. Man kann telefonieren, man kann auf Mails warten, die nicht kommen. Zwischenzeitlich vergeht ein Kindergeburtstag, den wir schon am Wochenende nachfeiern. Die rote Farbe an entscheidender Stelle bleibt rot, ich aber brauche grün. Immerhin kenne ich den einen Fehler, den ich ahnungslos machte, weil ich den dritten Schritt für nötig hielt, der nicht mehr nötig ist mit der neuen Software. Wer das alles nicht versteht, ist in meiner Situation. Ich verstehe es auch nicht. Dafür weiß ich nun, wie man Farben generiert aus Zahlencodes, ich weiß, wie man auf andere Bildschirme kommt, auf denen man mit der eigenen Maus fuhrwerken kann, dass es eine Freude ist. Nebenbei schaffe ich, so verrückt es ist, sogar noch ein paar Seiten Lektüre, ein paar Seiten Rohmanuskript. Nur für mich ist es verrückt. Denn ich kenne den Plan. Den nächsten Arzttermin kenne ich auch: er fällt in den Mai.

18. Februar 2018

Wie nennt man solch einen Tag, der dummerweise auch noch ein Familien-Sonntag ist? Desaster, Katastrophe, Tiefschlag? Einfache Dinge, die wahrscheinlich mittlerweile Milliarden Leute an einem Bildschirm beherrschen, leisten mir Widerstand. Hilfsprogramme helfen nicht, Anleitungen sind unverständlich, weil mir selbst in der deutschen Fassung jedes zweite Wort vollkommen fremd bleibt. Ich weiß nicht, sind meine hochgeladenden Dateien wirklich dort, wo sie hin sollen, wo sind sie, wenn sie nicht dort ankamen, außer bei mir auf der Festplatte? Mein Geburtstagsgeschenk ist akut gefährdet, dazu kommt eine andere Termindrückerei, die mir ohne Not, wenngleich juristisch natürlich sauber zuungunsten des Bürgers, der ich auch bin, den Spaß am Leben nimmt. Manche salbadern über wohltuende Wirkungen von Stress. Das sage einer den Blutzuckerwerten. Und morgen in aller Frühe nüchtern zum Arzt, reine Routine alles, reine Routine. Ich fahre mit dem Bus.

17. Februar 2018

Dienst am Kind, das kommt bisweilen auch außer der Reihe vor. Das Kind ist zehn Jahre alt und weckt Erinnerungen. Auf geradem Weg ins Rentenalter steigen Bilder auf: 1963 gab es für mich keine Playmobil-Figuren, wohl aber Indianer und Cowboys, ein Fort mit Türmen, die Indianer beritten und zu Fuß mit Gewehren und Speeren. Heute ein SEK- Hubschrauber, die kleinen Polizisten mit Schuss-Westen, mit Helmen, vier können einsteigen. Am Großen Teich Blesshühner in Scharen am Ufer, Eis wie aufgefaltet. Enten haben keine kalten Füße, sagt man, aber sie rutschen aus, wenn sie landen. Auf meinem Desktop liegt vorerst ein verworfenes Buchcover: Die nötigen Korrekturen sind geringfügiger Natur, das Verlagslogo muss noch verschoben werden. Neben mir ein großformatiges Buch mit vielen Fotos: Dieter Kranz führte ein Gespräch mit Wolfgang Heinz, ein sehr junger Dieter Mann spielte den Tempelherren, Christine Schorn ganz in Weiß die Recha.

16. Februar 2018

Eben lese ich in einem hübschen kleinen Aufsatz über Provinztheater mit Schwerpunkt Thüringen über einen Mann außerhalb Thüringens einen überlieferten Ausruf aus der Zeit, da der erste Tonfilm den einen oder anderen Theatermann dann doch heftig verunsicherte: „Ich lasse jeden aufschreiben, der ins Kino geht, damit er nie wieder ein Abonnement an meinem Theater bekommt!“ Das soll sich in Oldenburg zugetragen habe, der Ausrufer hieß Helmut Goetze. Jetzt lese ich in den Schlagzeilen des Portals „Nachtkritik“, dass sich eine Landesbühne an einen Filmklassiker wagt. Mal abgesehen davon, was Nachtkritiker für seltsame Vorstellungen von Filmklassikern haben können: ist das nicht herrlich: Filme auf Theaterbühnen, man muss nicht mehr ins Kino oder in die Mediathek, wenn man einen alten Streifen sehen will, man wartet einfach auf eine mutige Bühne. Wann werden die Talkrunden Wundertiere vorführen, die frech wagen, als Stücke geschriebene Stücke aufzuführen?

15. Februar 2018

Der Todestag Lessings erinnert mich daran, dass ich im vorigen Jahr schwungvoll einen Text zu seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ ins Netz stellte, versehen mit dem Hinweis, es handle sich um den Beginn einer Folge. Dem ersten Teil folgte aber bis heute nichts nach, auch wenn ich noch eine Weile tatsächlich dem Ausgangskonzept anhing. Jetzt bin ich immer noch nicht an dem Punkt der guten Vorsätze, sehe in der kommenden Woche aber wenigstens wieder einmal einen „Lessing auf der Bühne“. Das Buch gleichnamigen Titels von Gerhard Stadelmeier liegt schon mit Lesezeichen auf dem Stapel neben meinem Monitor. Nebenher frage ich mich, ob man sich noch einfach und reinen Herzens wundern darf über einen israelischen Ministerpräsidenten, den nichts anficht oder ob das schon als Antisemitismus gelten muss. Kann ein rassisch verfolgter Jude selbst Rassist sein, indem er von Negern oder gar Niggern schreibt mit Wulstlippen und deren seltsamem Brauchtum?

14. Februar 2018

Ilmenau in den Tagesthemen? Mit Sport? Nichts Rechtsradikales, kein Familiendrama mit sieben Toten? Es lebe der Rodelsport, für den wir sogar ein eigenes Museum haben. Die SPD ist nun die weltweit einzige große alte Partei, die aus den noch lebenden ehemaligen männlichen Vorsitzenden  eine eigene Fußballmannschaft mit elf Spielern stellen könnte. Und auf der Ersatzbank säße, die kommissarischen eingerechnet, ein Einwechsler. Warum bestimmt eigentlich alljährlich allein Dresden das öffentliche Bild des Gedenkens an den angloamerikanischen Bombenterror? Folgen wir der Reichswochenschau und ihrer Propaganda? Wie ist es mit Menschenketten in Würzburg oder wo sonst in den letzten Kriegstagen mutig aus der Luft ganze Städte ausradiert wurden? Mein Zitat des Tages stammt von Arthur Eloesser: „Es gibt nichts Überzeugenderes als eine große Dummheit, die im rechten Augenblick losgeht.“ Ins Gas musste er nicht mehr, weil er 1938 starb. 

13. Februar 2018

Der Rosenmontag liegt hinter, der Aschermittwoch vor mir. Meine beiden dünnen Bändchen von Wilhelm Heinrich Wackenroder stehen wieder im Regal, meine Zeit reicht nicht für sie. Für F.C. Delius, Friedrich Carl, der am 13. Februar 1943 in Rom geboren wurde, fanden sich aber einige Minuten. Und in seinen biografischen Skizzen, Titel „Als die Bücher noch geholfen haben“, die Geschichte von seinen frühen Visiten in Ostberlin: bei Marianne und Günter Kunert: erst in der Defreggerstraße, später in Berlin-Buch. Auch Delius hat seine Stasi-Akte gelesen, man besuchte damals nicht unbeobachtet negative DDR-Bürger, wie sie im Jargon der Schnüffelnasen hießen. Einige der negativen DDR-Bürger haben selbst für die Stasi geschnüffelt und Delius schöpfte nie Verdacht. Er zitiert aus den Erinnerungen Kunerts, „Erwachsenenspiel“, einen Passus über sich selbst. Ich weiß jetzt, dass Marianne eine große rundliche Frau war neben dem dünnen Kunert.

12. Februar 2018

Wer Professor ist, gar im Felde eines Orchideenfaches, sollte mit dem Wort „bekanntlich“ sorgsam umgehen. Was ihm bekannt dünkt, kennen nicht nur in jedem Normalfall sehr wenige, es darf gar begründet angenommen werden, der Ordinarius wolle nur die Exklusivität seines Spezialwissens dokumentieren. Lese ich zum Beispiel Sätze über das Erbfolgerecht des französischen Königtums, standesgemäß im sprachlichen Original zitiert, dann schaue ich augenblicklich im Apparat nach, ob der Zitierende wenigstens in der Fußnote für Leser wie mich, die des Französischen kaum mächtig sind, eine Übersetzung anbietet, idealerweise seine eigene, die so gleich noch seine Lesart kenntlich machen würde. Wenn aber „bekanntlich“ da steht, weiß ich: dieser Professor ist ein arroganter Kerl, dem Selbsterhöhung durch Herabsetzung anderer Handwerkszeug ist. Das alles drängt sich mir auf, während ich eigenem Triebe, nicht der Not folgend, im „Maria-Stuart-Meer“ segle, Land in Sicht.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround