Tagebuch

10. Juli 2019

Immer wenn ich vom Bücherretter Peter Sodann lese, vermisse ich einen Hinweis darauf, dass er die geretteten Zeugnisse durchaus auch zu Geld zu machen versucht. Es gibt einen Buchhandel auf seinen Familiennamen, bei dem ich schon hie und da etwas kaufte, ich weiß also, wovon ich rede. Und verrate auch, dass bei ihm die Bücher stets sehr preiswert sind. Das hat mit jener Nachfrage nach DDR-Literatur zu tun, die die geretteten Bücher zuvor auf Deponien brachte, wessen voraus oder hinterher eilender Gehorsam das einst auch immer verursachte. Immer wenn ich lese, dass heute niemand mehr Stil habe, nur weil er Musik vom USB-Stick hört statt von der Schellack-Platte, dann sage ich mir: es hält sich unter Stil-Aposteln auch niemand mehr an Versprechen, die er rotzdreist gab. Ansonsten ist, einer alten Zeitung zufolge, der Bäcker Lothar gestorben, was mir die Todesanzeige kaum verraten hätte,  die trauernde Lebensgefährtin war meinem Haushalt bekannt.

9. Juli 2019

Wir sehnen uns nach den Tagen zurück, da uns das Hundegebell aus dem Tierheim nervte. Zirka 456mal habe ich darüber nachgedacht, was wohl in den uralten Bundesländern für eine Klagewelle gegen die Stadt laufen würde, hätte die ihr Tierheim in Hörnähe tausender Einwohner eingerichtet. Heute scheint, verglichen mit den beiden Bell-Monstern unter unserem Balkon, das Hundeasyl ein Ort der stillen Einkehr für stumme Vierbeiner, während Paula und Co. bis zu anderthalb Stunden am Stück die Abwesenheit ihrer Herrschaften bekläffen und bejaulen. Besonders Co. scheint voller Trauer, er hebt seinen schwarzweißen Hals fast wie ein echter Wolf und heult den unsichtbaren Mond an, während Paula einfach nur bellt, als zöge eine Karawane von Hundehaltern hinter ihrem Zaun vorbei. Seltsamerweise fallen die anderen Hunde der Nachbarschaft nicht in die Orgie ein, sie sind vielleicht nur einfach nicht allein gelassen. Wenn allein gelassene Menschen heulen würden!

8. Juli 2019

Edgar hat heute seinen Namenstag. Edgar ist der, der seinen Besitz mit dem Speer verteidigt. Seine Uroma wäre geneigt gewesen, ihm etwas für die guten Noten auf seinem Zeugnis zu geben, leider gibt es aber weder gute noch schlechte Noten auf Edgars Zeugnis, weil Edgar in einem modernen Land lebt, das allerdings noch immer eifrig am internationalen Speer-Handel teilnimmt. Am 8. Juli 1809 gewannen die vereinten Österreicher und Braunschweiger bei Gefrees eine Schlacht gegen Truppen Napoleons. Für uns ist Gefrees vor allem Ort eines Getränkemarktes, in dem wir uns gut versorgen, wenn wir in Weißenstadt lustwandeln. Am 8. Juli 1899 wurde in der New Yorker Bronx das Heinrich-Heine-Denkmal von Ernst Herter enthüllt, das die Düsseldorfer nicht haben wollten. Vor Jahren sprach ich in einem Heine-Vortrag ausführlich über diese peinliche Geschichte. Zum Ausgleich schwafeln heute Deutsche über den Berliner Walter-Benjamin-Platz: Rechts-Architektur.

7. Juli 2019

Wobei ein e-Verlust zu registrieren ist, den ich allen hinfortigen Moliére-Inszenierungen dieses seines letzten Stückes dringlich ans Herz legen würde: „Der eingebildet Kranke“ ist die bessere Übertragung. Wir waren zeitig genug in Gera, die freie Platzwahl wirklich nutzen zu können, mit Rudolstädter Erfahrungen gerüstet, was Sitzkissen, Jacken und sonstige Utensilien betrifft. Und hatten auf dem Heimweg auf dem, was manche immer noch Autobahn nennen, wir aber nennen es Vierspur-Baustelle, vergleichsweise freie Bahn. Die heutige SONNTAGSZEITUNG meldet, dass sich die europäischen Sozialdemokraten von der SPD distanzieren, was ich verstehe, nachdem es gleich mehrere entsorgte Kader dieser Partei nicht lassen konnten, ihre durchsichtigen Motive für ihr Offizial-Greinen über Ursula von der Leyen öffentlich zu machen. Jottchen, Sozis, manchmal hilft es, einfach nur die Fresse zu halten. Maul zu und Ruhe. Das Gemaule nervt längst exponentiell.

6. Juli 2019

Beim Fußball ist nach dem Spiel vor dem Spiel. Beim Urlaub ist nach dem Urlaub bloß nach dem Urlaub. Ich zum Beispiel erhole mich vom Urlaub keineswegs nur durch Löschen unnützer Mails, ich blättere den wartenden Zeitungshaufen durch. Da eine Theaterkritik, in der Schaufensterpuppen vorkommen, beängstigend leblos. Mich würden eher lebendige Schaufensterpuppen, nein, doch, auf keinen Fall beängstigen. Die Reiseteile der Blätter auf meinem Arbeitszimmertisch werfen die dann doch beängstigende Frage auf, warum ich keinen Ehrgeiz entwickle, ein handzahmes Krokodil in Gambia zu streicheln oder eine sandige Schildkröte in Abu Dhabi auf den Arm zu nehmen oder zum Gorilla-Tracking nach Uganda aufzubrechen. Ich breche allenfalls zum Gorilla-Tracking in den Leipziger Zoo auf, das hat den Vorteil, dass ich abends noch ins Theater gehen kann, was in Uganda nur eingeschränkt möglich ist. Die Saison 2018/19 beende ich heute mit „Der eingebildete Kranke“.

5. Juli 2019

Zeitig schon ein umgewandelter Arzt-Termin: der Tablettennachschub im neuen Quartal muss gesichert werden. Die junge Dame an Tresen vergisst leider eine Sorte, was ich erst auf dem Weg zur Apotheke merke. Dafür in der Apotheke das seltene Phänomen: alles ist da, nichts muss erst bestellt werden, für nichts gibt es eine Ersatzlösung wegen Rabattvertrages der Krankenkasse. Die Orchideen haben fast alle den Zustand von vorm Urlaub, nur eine fordert den finalen Schnitt. Die Post enthält nichts Aufbauendes oder Erfreuliches, die zu löschenden Mails nur eine sehr dringlich erwartete Nachricht: Pressekarten gesichert. Die zurückgelegten Zeitungen an der Tankstelle und am Kiosk sind alle da, keine Preissteigerung inzwischen. Telefonate, Rückmeldungen. Eine Frau im Warteraum: „Mal sehen, wie weit ich das Portemonnaie heute aufmachen muss.“ Das sagt man, wenn Enkel Zeugnisse bekommen, wie heute in Thüringen. Erstklässler-Zeugnisse sind ohne Noten.

4. Juli 2019

Nachtrag: 6.30 Uhr  ist Gepäckladen angesetzt, 6.45 Uhr das Frühstück. Alle sitzen eher am Tisch. Um 7.31 Uhr rollte der Bus vom Hotelparkplatz, Auffahrt Affi auf die Autobahn. Es geht gut durch Italien, es geht gut durch Österreich, erst auf dem Hoheitsgebiet der Raser, der weltweit höchsten Autobahnbaustellendichte beginnt die Stau-Folge des Tages: fünf sind es schließlich, eine von einem brennenden Pkw verursacht, den wir in seiner grauweißen Blech-Blässe noch stehen sehen. Wir verlieren eine reichliche Stunde, ohne das offenbar deutlich bessere Bus-Navi wäre es sicher viel mehr geworden. Wir addieren alle Schrittzähler-Ergebnisse und landen bei verblüffenden 97.461 Schritten, hinzu kommen bis zum späten Feierabend zu Hause noch einmal fast 6000 und das bedeutet: im Schnitt jeden Tag mehr als 10.000. Hinzu etwas Sonnenbrand im Nacken und auf den Füßen. Das Zubringertaxi fährt uns bis vor die Tür nach zwei Entladungen vorher in Heyda.

3. Juli 2019

Nachtrag: Ausgerechnet ein italienischer Busfahrer (Linie LB 027, Abfahrt 11.19 Uhr Richtung Brescia) versucht, uns diesen schönen Urlaub zu vermiesen: er lässt uns nicht in seinen Bus nach Gardone steigen, weil wir vorher keine Fahrkarten kauften und im Bus bezahlen wollen, was wir alle Tage getan haben bis hier. Den Fahrgästen unmittelbar nach uns in der Reihe verkaufte er Karten, uns verweigerte er sie zum zweiten Mal. Ich wünsche ihm bei einer Leerfahrt, damit es nur ihn trifft, eine Frontalkarambolage ohne Hirntrauma als Folge, denn Hirn kann nur bei Existenz Schaden nehmen. In Gardone der wirklich herrliche André-Heller-Garten. In Gardone auch eine Gedenktafel für Oriana Fallaci, deren Bezug mir dunkel bleibt. Meine Fallaci-Bestände aus dem Archiv stehen im Ordner „Italien III“. Die Rücktour von Gardone im Bus nach Maderno völlig problemlos, die Fährfahrt schon mit Abschiedsstimmung. Flucht aus dem Pool, als es wild blitzt.

2. Juli 2019

Nachtrag: Zum zweiten Mal mit dem Bus nach Malcesine, dort mit der Fähre nach Limone. Erst auf dem Rückweg sehen wir, wie viele Fähren es mittlerweile gibt: unsere arbeitet mit Ritorno-Karten, die eingesammelt werden am Ende zur Wiederverwendung, eine Preiskonkurrenz gibt es aber nicht. Wir folgen in den Boden eingelegten Hinweisfliesen zum Zitronengarten, den es erst seit 2004 gibt. Nie habe ich so viel über Zitrusfrüchte erfahren, von denen ich meinte, einiges bereits zu wissen. Eine sehr schöne Anlage, sehr informativ alle Tafeln, alles über Herkunft, Verbreitungswege. Und ich habe noch den Geschmack der Pompelmo auf der Zunge aus Lazise. Im Palazzo dei Capitani sehen wir eine Ausstellung von Roberto Viesi, von dem man sich auch Postkarten kaufen kann, nicht wenige Bilder würden zu unserem Malcesine-Panorama von Gustav Klimt im Esszimmer gut passen. Am Hotel nehmen wir noch Aperol Spritz und eine Abkühlung im Pool vor dem Essen.

1. Juli 2019

Nachtrag: Der einzige Ausflug, den wir am Anreisetag noch im Bus buchten: Sirmione kombiniert mit Weinverkostung in Bardolino, auf dem Hinweg eine Stunde in Garda, für uns überflüssig. In Sirmione die Überraschung: die Burg ist zugänglich, wieder besteigen wir alles, was zu besteigen ist. Schöne Rundblicke. Verblüffend viele nutzen die Gelegenheit: italienische Menschen. Unsere Mitreisenden sind überall, wo zusätzlich Eintritt verlangt wird, wie die Teufel am Weihwasser, sie würden am liebsten bei Sanifair kostenlos pinkeln, was der Gott des Sanitärwesens aber verhindert. Unser Busfahrer muss für bescheidene zwei Stunden 40 Euro löhnen, ein Kollege aus Österreich dankt ihm seine Fairness beim Ausparken, ein Italiener ist da etwas mäßiger begabt. Die Weinprobe oberhalb von Bardolino beginnt mit Garganega Frizzante und endet mit einem Classico Superiore, der mich zum Kauf verleitet. Ich lerne, dass der Höllenlärm in den Bäumen von Zikaden stammt.

30. Juni 2019

Nachtrag: Als wir 1998 eine Woche in Garda wohnten, hielten wir bei drei Touren über den See (nach Peschiera, nach Saló, nach Sirmione) genau sechsmal in Lazise, stiegen dort aber nie vom Schiff. Jetzt fahren wir mit dem Bus nach Lazise und sind mehr als angenehm überrascht: viele nette Geschäfte, viele nette Futterstellen, ich esse ein Pompelmo-Eis von sensationeller Qualität mit echten feinen Fruchtfasern und einer Bitternote, für die man die Partei wechseln könnte. Wir sehen zum Glück, dass es um 14.13 Uhr eine seltene Schiffsverbindung von Lazise nach Torri gibt, die wir natürlich nutzen, wir halten in Bardolino, in Garda, umkurven Punta St. Vigilio, bis wohin wir 1998 zu Fuß marschierten. Vor der Kirche in Lazise versucht ein Schwarzafrikaner von der Statur eines Modellathleten Almosen zu erbetteln, während eine kleine Gruppe vom Roten Kreuz ihre Spenden zählt: Scheine und Münzen. Der Pfarrer debattiert mit dem Almosenmann, der dann geht.

29. Juni 2019

Nachtrag: Wir brechen den Laufrekord vom 25. April, allein Hin- und Rückweg zur Fähre machen 7500 Schritte aus, verrückte Marotte nun, darauf zu achten. Am Ende aber stehen Kondition und Gesundheit. Die Überfahrt nach Maderno dauert nicht viel mehr als 20 Minuten, vom Erdbeben des Jahres 2004 sehen wir keine Folgen mehr, das Epizentrum lag zwischen Maderno und Gardone. Aus Maderno stammte das Papier für Luthers Bibel-Übersetzung, was man nicht wissen muss, aber man leidet auch nicht, wenn man es weiß. Wir werfen einen Blick durchs Tor der Villa Lucia, die im Internet noch zum Verkauf steht, man sieht den Zitronen-Garten, wie man ihn ähnlich aus Limone kennt, alles ist irgendwie auch Palazzo Bulgheroni. Natürlich werfen wir ungetauften Katholiken auch einen Blick in die kleine Kirche, es ist heute Namensfest der Apostel Peter und Paul, denen die Kirche gewidmet ist. In aller Heimlichkeit habe ich Fingerspitzen ins Weihwasser getaucht: Sünde.


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