Tagebuch

1. Oktober 2025

Nimmt man alles in allem, dann ist man natürlich ewig unterwegs, bis man endlich das Gepäck aus dem Fahrstuhl zerren kann. 21.03 Uhr die Meldung an die Familie: Wir sind wohlbehalten und ohne größeren Stress wieder zu Hause angekommen. Noch zeitig genug, die Post bei den Nachbarn zu holen. Die Mails, die ich auch auf dem Handy sehe, sind alle schon gesichtet und gelöscht, soweit sie nicht auf eine Antwort warten. Die anderen sichte ich am PC, fast ausschließlich Newsletter. Sie abzumelden, führt zu nichts, wie ich erfahren habe, das Löschen dauert nie unendlich lange. Der Tag begann mit einem Schock für Busfahrer, Reiseleiter und eine Mitreisende. In den Bus wurde eingebrochen. Kein Schaden am Bus zum Glück, der die Weiterfahrt gefährdet hätte. Diebstahl, der den Reiseleiter Marian einen großen Schinken und seine Lederjacke kostete, eine Frau alle Präsente für zu Hause, die im Gepäcknetz lagen, zwei weitere Lederjacken. Unsere Regenjacken unbeachtet.

30. September 2025

Wir sind trockenen Fußes zum Bus gekommen, es ist heute noch nicht von Bedeutung, in welcher Reihenfolge das Gepäck verladen wird. Erst morgen bestimmen die Ausstiegsorte die Reihenfolge. Wir übernachten wieder in dem Hotel, das uns schon auf dem Hinweg zur Zwischenübernachtung aufnahm, ein anderes Zimmer jetzt, kein anderer Komfort aber. Es scheint alles schneller zu gehen und besser zu klappen rückwärts, aber das ist nur ein Gefühl ohne Beweiskraft. In meinem Buch über Conrad Ferdinand Meyer bin ich bis zur Seite 235 vorgedrungen, morgen wird kaum viel dazu kommen. Wir werden dann schon vier Nächte in Lyon verbracht haben, ohne von Lyon sehr viel gesehen zu haben. Das ist bei Zwischenübernachtungen am Gardasee meist anders. Zu Hause werden wir morgen kaum vor 19 Uhr sein, wir melden es vorsorglich an, damit wir unser Auto am Bahnhof vorfinden, wenn wir dort aussteigen. Das hat immer gut geklappt, seit wir es so machen.

29. September 2025

Morella wäre ein Ziel gewesen, das wir gern gesehen hätten. Ein Unwetter im Großraum Valencia, vor dem es eine Unwetter-Warnung auf alle Handys gab in Spanisch, was wir natürlich nicht verstanden, zwingt zur Streichung des Ausflugs, wir bekommen unser Geld zurück. Damit wir nicht gänzlich melancholisch werden im sintflutartig strömenden Regen, werden wir zu einem großen Shopping Centre gefahren. Dort wartet eine Überraschung. Bei Besichtigung des Weinangebotes entdecke ich Kästen mit unserem Gratis-Abendwein, Castillo Lagoman. Die Flasche kostet hier im Supermercato ganze 89 Cent. Nie sah ich billigeren Wein in der Normalflasche. Nie trank ich als Hauswein einen schlechteren. Wir sind verwöhnt von Italien her, wo wir nie einen schwachen Hauswein trinken mussten. Aber zum Glück haben wir uns versorgt für den Balkon. Unser lieber El Coto, den wir in Berlin für zwei Euro mehr kaufen müssen, zweimal auch netten Utiel-Requena.

28. September 2025

Seit wir hier sind, sehen wir Werbung für einen Tierpark mit Papageien, Jardin del Papagayo. Heute gehen wir von Google Maps geführt einen höchst verschlungenen, teilweise gar nicht zugänglichen Fußweg dorthin. Für den Rückweg nehmen wir später Straßen. Das Kind in mir wird hin und her gerissen. Ich füttere Schildkröten enormer Größe, ich sehe nicht nur meine Lieblingstiere, die gern und dumm Wasserschweine genannt werden. Ein Kapivara pirscht sich von hinten an meine Wade und schnüffelt, eins lässt sich tatsächlich anfassen, andere auch, nur bin ich denen gerade nicht nahe. Dann die großen Papageien, die seltenen und teuren Aras, die einen Höllenlärm verursachen und sich füttern lassen. Wir müssen auf unsere Brillen achten. In einem anderen Gehege kleinere Exemplare, die sich auf die Schultern und Kopf setzen und einem treuherzig ins Auge schauen. Wir gedenken unseres Wellensittichs Maximilian, der im hohen Alter von zehn Jahren einst verstarb.

27. September 2025

Heute geht es zu Antonio Gaudi, der 1852 in Reus geboren ist, wo es ein phantastisches Museum für ihn gibt, das wir uns mit Audioguide erschließen. Die Sagrada Familia in Barcelona, sein berühmtestes Werk, sah ich zuerst 1995 und dann gleich noch einmal 1996, zuerst allein mit einigen Zeitungs-Kollegen, ein Jahr später mit der Familie. Danach nicht wieder. Zweite Station des Tages Tarragona. Eindrucksvolle Altstadt, wieder eine sehr anregende Führung. Nur die erste in Peñiscola war schwächer, auch in Valencia hatten wir großes Glück. Römische Ausgrabungen, Bilder von jener seltsamen Tradition, möglichst hohe menschliche Pyramiden zu bauen, es gibt alle zwei Jahre einen Wettbewerb, der längst auch Touristenattraktion ist auf dem Platz vor der Kathedrale. Wir sitzen nach dem Essen immer auf unserem Balkon, beobachten das Geschehen in den benachbarten Häusern, vor allem mehrere Katzen auf einem verwilderten Grundstück direkt unter uns. Bei Wein.

26. September 2025

Natürlich denken wir im fernen Spanien nicht an Richard Beer-Hofmann, der vor 80 Jahren in New York starb. Wir fahren mit dem Linienbus noch einmal nach Peñiscola, um uns in aller Ruhe alles anzusehen, was wir beim geführten Rundgang nicht schafften. Wir sind nicht die einzigen unserer Busfuhre, die diese Idee haben, immer wieder treffen wir Bekannte. Sehen das rekonstruierte Arbeitszimmer von Papa Luna. Die Festung hat rundum schöne Ausblicke. Auch die Gärten sind verführerisch für die Kamera, zumal wir uns angewöhnt haben, täglich einige Bilder in den Status zu stellen und nicht wie früher in die Familie. Ich bearbeite meine Bilder jetzt fast immer gleich oder spätestens im Bus. Für die Rückfahrt haben wir etwas Mühe, die richtige Haltestelle zu finden. Es bleibt genügend Zeit für einen längeren Barfußgang am Strand. So kommen schließlich 18.284 Schritte auf meine Uhr. Es gibt überall praktische Gelegenheiten, die Füße vom Sand zu befreien.

25. September 2025

Fahrt zum Ebro-Delta, ein Aussichtsturm. Die Anlegestelle für die Schiffe und allerlei Lädchen für Touristen mit Spezialitäten, Reis, Reisprodukte, wir erfahren viel über Nutzung des Deltas, über Schutz des Deltas, sehen in der Ferne Flamingos in gewaltigen Mengen. Noch ehe wir uns versahen, wurden wir fotografiert auf dem Schiff, nach der Rückkehr war ein Teller mit diesem Foto zu erwerben. Man sieht meine mäßige Begeisterung für solche geschäftstüchtigen Überfälle. Doch es gibt schlimmere Arten des Geldverdienens. In meiner Reiselektüre „Conrad Ferdinand Meyer“ von Franz Ferdinand Baumgarten halte ich heute auf Seite 103. Es liest sich besser, als ich dachte und frischt meine Meyer-Kenntnisse massiv auf. Der Wein, den es am Abend kostenlos gibt, war als weißer eine reine Katastrophe, als Rosé ist er erträglich. Unsere Tischnachbarn, die 65 Jahre verheiratet sind, picheln eisern die ganze Flasche Rotwein aus, obwohl sie eigentlich keinen trinken.

24. September 2025

Valencia, den Namen kennen wir natürlich vom Fußball. Die Stadt aber ist überwältigend. Wir sind zuerst in einer Stadt in der Stadt: es ist die „Stadt der Künste und der Wissenschaften“, entworfen von Santiago Calatrava. Hört man von Bauzeiten, von Finanzierungen und Refinanzierungen, von Einnahmen aus der Nutzung der von allen Seiten imposanten Bauwerke, liegt eine Frage sofort auf der Hand: warum geht das hier und bei uns nie? Valencia ist auch im historischen Kern mehr als nur sehenswert. Unser Rundgang beginnt am Torres de Serranos und endet auch dort, wir haben Zeit, ihn zu besteigen, sehen die Kathedrale, die Markthalle und ein kleines Museum, die Casa de les Roques, die Figuren und Gegenstände der Fronleichnamsprozession aufbewahrt. Frei zugänglich, für Fotografen attraktiv. Für mich attraktiv: Ein Laden in der Markthalle mit Bieren aus aller Herren Länder, ich musste mein Sammlerherz gewaltsam niederfrequent schlagen lassen. Herrliche Sorten.

23. September 2025

Vor allem hat unser Zimmer 239 einen wuchtigen Balkon, über den man sich so weit lehnen mag, wie man will, man sieht nichts vom Nachbarbalkon und wird auch nicht von dort gesehen. Das ist ein Vorzug, der durchaus selten ist. Wir unternehmen heute nach Programm einen Ausflug zum historischen Kern der Stadt, zu der unser Hotel gehört und dessen Namen es sogar trägt. Es ist ein Weg bergan zu bewältigen, unterwegs ein Muschelhaus, das offenbar als eine Hauptattraktion gilt und tatsächlich eine ist. Oben gibt es eine Festung, es gibt einen Leuchtturm, einen Garten, den man besichtigen kann, wenn man eine Eintrittskarte für beides erworben hat. Wir schaffen das nicht und wissen, was wir am programmfreien Tag tun werden. Immerhin sehen wir in der Ferne unser Hotel nahe am Strand, wir sehen als Statue Papa Luna, den Gegenpapst Benedikt XIII, auf den noch Clemens VIII folgte. Neben Rom hatten nur Avignon, Viterbo und Pisa einen oder mehrere Päpste.

22. September 2025

In Bussen kann ich normalerweise nicht lesen. Ich bin froh, dass uns seit Jahren die Wildecker Schmerzbuben und andere Versuche akustischer Körperverletzung erspart bleiben. Zur Sicherheit bin ich mit BlueTooth-Hörern ausgestattet, alles zu übertäuben, was mich melancholisch machen könnte. Heute aber lese ich ein komplettes Büchlein im Bus. Es trägt den Titel „Kleines Thüringer Bratwurst-Buch“, ist geschrieben von einem Uwe Keith, den nicht Frank Wedekind erfunden hat. Das Büchlein war die Nummer 13 der Reihe, in der mein „Ilmenau von A – Z“ die Nummer 50 wurde später. 12.57 Uhr passieren wir die spanische Grenze. Nirgends brauchen wir mehr unsere Münzen zur Toilettenbenutzung, die bei uns obligatorisch sind, um den Umsatz der Raststätten zu erhöhen. Denn man darf nur noch einen Bon pro Produkt einsetzen, das heißt Sanifair, ist aber schon lange bestenfalls Sani, aber fair nicht mehr. Es ist Nepp. Unser Zimmer hat etwas Meerblick.

21. September 2025

5.05 Uhr ist, darauf könnte man sich einigen, eine unchristliche Zeit für einen Busbahnhof-Termin. So sind sie aber, diese Zeiten, denn vor jeder längeren Busreise steht Logistik. Da sitzen Menschen, noch keine KI, die überlegen, wer wo abgeholt werden muss und wessen Abholung man damit gut verbinden kann. In der Regel treffen sich dann irgendwo mehrere Busse und alle aus diesen Bussen müssen warten, bis alle anderen Busse auch da sind. Alle dürfen aussteigen und sich den Bus suchen, der sie ans Ziel bringt, falls sie nicht, was die absolute Ausnahme wäre, schon im richtigen Bus waren. Die große Hoffnung: niemand schnappt sich den falschen Koffer und merkt es erst, wenn er am Nordkap ist, obwohl die Koffer in Sizilien sein müssten. 14.05 Uhr dringen wir in Frankreich ein, genauer: ins Elsass, das wir recht gut kennen. Da sind bereits neun Stunden um seit dem Busbahnhof. Und es geht noch nach Lyon. In Lyon haben wir Zimmer 415 und sind hungrig.

20. September 2025

Auf dem Friedhof an der Liesenstraße Berlin tobt heute das Fontane-Gedenken, ich werde sicher einen authentischen Live-Bericht bekommen und dann in meinen wohl verdienten Kurzurlaub reisen, von dem ich zurückkehre, wenn Benno Pludra seinen 100. Geburtstag feiern würde, wäre er nicht schon vorher gestorben. Der Oktober beginnt mit gleich vier 100. Geburtstagen, wer soll da nachkommen, da kann man froh sein, dass einige auch in den ersten Tagen des neuen Monats starben, vor fünf Jahren, vor zehn Jahren. Die Zahlen sind beliebig zu setzen. Wer lange gedenkt, lebt lange, würde Oskar Sima sagen, den man jetzt natürlich googeln müsste. Heute ist Thüringen das Land mit dem gesetzlichen Feiertag, der verhindert, dass ich wie sonst meine Sonntagszeitung kaufen kann. Ich muss sie zum Schaden meines Zeitungskioskes in fremden Bundesländern erwerben und mit ins Ausland schleppen, was Unfug ist, aber freistaatliche Feiertagspolitik, basta.


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