Tagebuch

8. August 2025

Rüstung ist wieder in. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Saure-Gurken-Zeit im Sommer mit fröhlichen Ingenieuren füllt, deren große Augen angesichts der Aufgabe leuchten, friedliche landwirtschaftliche Motoren tauglich fürs Militär zu machen. Nichts mit Schwertern zu Pflugscharen, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Und nun müssen alle zittern: Was, wenn dieser Putin und dieser Trump wirklich Frieden schaffen? Ade, ihr schönen Konjunkturprogramme. Eigentlich war Rüstung immer verkannt. Das sind nette Kerle, die nichts als Frieden im Sinn haben. Ab und an müssen auch im Frieden Waffen ausgetauscht werden und wenn es da und dort mal einen Konflikt gibt, wir liefern nicht in Krisengebiete. Also nur über Zwischenhändler. „Berliner Fenster“ zu Ende gelesen. Alle Prag-Stellen sind markiert darin. Mein Kalender für 2026 zeigt inzwischen mehr Termine an, als ich werde bedienen können.

7. August 2025

PETA, eine lustige Organisation, in der Denken, insbesondere logisches Denken, verboten zu sein scheint, befasst sich neuerdings mit einem Ausstieg aus der Tierwirtschaft. Das würde uns, so die Geistesriesen, nicht nur Unmassen Megatonnen Co2-Ausstoß ersparen, sondern auch 750 Millionen Tieren ein Leben voller Ausbeutung. Den meisten würde es das Leben überhaupt ersparen, denn wozu sollten all diese Tiere da sein, wenn wir sie nicht essen. Ungegessen würden sie ihrerseits all unsere veganen Fressalien vertilgen und uns damit rasch in die Aussterbe-Phase transponieren. Wer je eine umzäunte Grünfläche sah, auf der sich Hühner frei bewegen, weiß, wie lange es dauert, bis auch nicht ein einziges Hälmchen mehr übrigbleibt. Wo würden all die freien Schweine, Rinder, Kaninchen, Gänse, Enten denn sein, wenn sie nicht mehr aufs Messer warten müssten? Wie viele Holländer müssten sich ins offene Meer stürzen, wo schon die toten Milch-Dänen treiben würden?

6. August 2025

43 Besucher zeigte das Zählwerk am Eingang des Schwimmbades Hammergrund, als wir ankamen, zwei Erwachsene, zwei Kinder mit Familienkarte. 95 Besucher zeigte das Zählwerk, als wir knapp vier Stunden später wieder gingen. Es waren nach uns also noch 52 Badegäste oder Begleiter da. Dennoch sah alles leer aus. Ich traf eine Bekannte aus alten Hochschulzeiten, die ich mich hüte, eine alte Bekannte zu nennen. Sie hat eben hauptsächlich dazu beigetragen, dass in Suhl ein alter Suhler ein wenig aus der Vergessenheit hervorgezogen wurde, Kurt Römhild sein Name. Ein in der DDR absichtlich übersehener Tscheche, übersehen, obwohl er ein Kommunist war, hat heute seinen 125. Geburtstag: Jiří Weil. Sein Roman „Moskau – Die Grenze“ erschien erst 1992 im Aufbau-Verlag, als der kein DDR-Verlag mehr war, sondern nur noch ein Verlag ohne Länderkennzeichen. Es war nicht sehr gesund, das stalinistische System belletristisch zu kritisieren, nicht immer tödlich.

5. August 2025

Lang ist es her, dass ich Novellen von Maupassant reihenweise las, mir die sechsbändige DDR-Ausgabe zulegte, obwohl ich die dreibändige bestens kannte. Christel Gersch war die Übersetzerin. Meine Aufzeichnungen sind teilweise noch handschriftlich. Wer feiert heute 175 Jahre Maupassant? Nur auf den Briefwechsel Flauberts mit Maupassant und auf „Die Liebe zu dritt“ musste ich warten, bis die Freiheit über mich hereinbrach und mich jählings von meiner Tätigkeit als freiberuflicher Literaturkritiker trennte. Gestern hätte ich an Andersen denken müssen, den Hans Christian, von dem ich mir zu DDR-Zeiten neben zwei Bänden „Sämtliche Märchen“ noch eine fünfbändige Ausgabe zulegte. Auch hier verhalf die Freiheit zur Sammlungsergänzung. Meine Aufzeichnungen schon nicht mehr handschriftlich. Dauerregen bis zum Nachmittag. Die überraschende Erkenntnis, dass ich am 12. September 2023 vor einem Gedenkstein stand, der Heinz Knobloch gehört bis 2050.

4. August 2025

„Sehenswürdig in Schmalkalden ist die Volksbuchhandlung.“ Schrieb vor mehr als 50 Jahren der Zweitrundgänger Heinz Knobloch. Solch ein Satz würde alle zutiefst beleidigen, die 2024 tagelang ihr Jubiläum 1150 Jahre Schmalkalden feierten und sich entsprechend darauf vorbereitet hatten, unterstützt durch eine mir nicht bekannte Summe von Fördermitteln. Die Zeiten, da mittels NAW (Nationales Aufbauwerk) haarscharf am Plan vorbei Objekte wie Schwimmbäder gebaut wurden, sind auch in Schmalkalden längst vorbei. Heute sieht die Stadt einfach schön aus, hat außerdem noch eine Wilhelmsburg, die wir sahen, als das Corona-Vernichtungswerk noch nicht begonnen war. Und VIBA, die Erfolgsgeschichte. Für uns der zweite Rundgang, mal kurz auch in der Sparkasse, etwas Bares nachfassen. Ich setzte mich zwischen Luther und Melanchthon in Sichtnähe zur guten alten Elisabeth. Und posierte beschildert für eine Nougat-Werbung ohne Kind mit Kindeskind.

3. August 2025

Kurz mal in Ohrdruf. Hätte Lothar Kusche geschrieben, wenn er mal in Ohrdruf gewesen wäre. Mal kurz in Ohrdruf, hätte Heinz Knobloch geschrieben in vergleichbarer Lage. Hat er aber nicht, haben beide nicht. Was nicht heißen muss, dass sie nie da waren. Wir aber waren da. Sind durch Regen gefahren, ohne Regen angekommen, haben den Parkplatz auf der Wiese gefunden, sind eingewiesen worden, wie wir es aus guten Zeiten auf dem Theatervorplatz in Coburg kennen. Dann sahen wir kräftigen und sehr kräftigen Männern zu, wie sie Gewichte, die wie ein Baumstamm aussahen, in die Höhe stemmten. Einer scheiterte mehrfach an 120 kg, ein anderer war der beste mit 165 kg. Nebenan trieben extrem gut ausgebildete und folgsame Hunde eine kleine Schar von Laufenten über einen Rasenparcours, sehr sehenswert. Zum Schluss alle in eine Box. Ich kenne sogar den Bürgermeister. Von Schloss Ehrenstein hatte ich keine Ahnung und sogar der junge Bach war da.

2. August 2025

Weil ich gerade aus verschiedenen Gründen in verschiedenen Büchern von und über Thomas Mann umher schnüffle, mache ich eine kleine Entdeckung. In der Thomas-Mann-Biografie von Eike Middell (Reclam Leipzig, RUB 268) findet sich auf Seite 128 ein Foto mit fünf Männern drauf. Im Vordergrund der Kultusminister Grimme, der Adolf Berthold Ludwig Grimme hieß und der letzte Kultusminister Preußens in einer demokratisch gewählten Regierung war. Grimme verdeckt darauf einen fast völlig, der mir bekannt vorkommt, mir fällt nur kein Name zu ihm ein. Nur wenig aber verdeckt der Minister Arthur Eloesser und gar nicht Heinrich und Thomas Mann. Alle sind in Frack und Fliege. Da das Foto ins Jahr 1931 datiert ist, muss es die offizielle Feier zum 60. Geburtstag von Heinrich Mann gewesen sein. Eloessers Name fehlt im Bildtext des Buches, für das der 30. Juni 1965 Redaktionsschluss war. Er war Festredner damals. Sechs Seiten später noch ein Bild als Hörer.

1. August 2025

Heute ist angeblich der Tag des Bieres, obwohl man doch leicht nachschauen kann, dass auch der 23. April Tag des Bieres ist. Ich könnte jetzt sagen, dass bei mir immer Tag des Bieres ist, aber das würde versoffen klingen, obwohl es nur eine meiner Sammelleidenschaften beträfe. Ich muss die Biere selbst getrunken haben, deren Etiketten ich sammle. Es schenke mir also niemand welche, es sei denn auf vollen Flaschen. Für mich ist heute auch der Tag der Suchmaschine. Denn wieder einmal finde ich mich auf Trefferseite 1 und meine Mama hat nicht einen Pfennig dazu gezahlt. Ich stellte am 9. Oktober 2013 „Diderot: Der Hausvater“ ins Netz und da findet man es seither, wenn man von einem diesbezüglichen Bedürfnis befallen wird. Für mich hat das Wort Hausvater als eine Bezeichnung für Thomas Mann den Neugier-Knopf gedrückt und siehe, ich schrieb gut. (Ist nur als Scherz gedacht.) Vor 100 Jahren wurde Ernst Jandl geboren, ohne eigenes Zutun. Er hat seine Fans.

31. Juli 2025

Die zweite Staffel von „Reacher“ endet mit „Simple Man“ von Lynyrd Skynyrd, der Monat endet mit Rente auf dem Konto und der Chance, Rechnungen zu begleichen. Da soll noch einer klagen. „Zur Feier des Alltags“ abgeschlossen, es war mehr zu vergleichen und mit Quellenseiten zu versehen als noch zu lesen. Dennoch mindestens eine Überraschung. Mein Kalender 2026 weist schon zwanzig hundertste Geburtstage aus. Zu allen werde ich kaum schreiben können, für zwei aber sind neue Dateien angelegt. Zwei Herren des Jahrgangs 1926 scheinen sogar noch zu leben, einer wird nächste Woche 99 Jahre alt. In Japan lebt das älteste noch aktive Wirtsehepaar: sie 98, er 96, sie betreiben noch immer ihre Nudelküche auf Okinawa. Warum also hier keine Herren mit einer Werkgeschichte. Nachdem ich gestern über junge Löwen schrieb, hielt ich es heute mit gelben und alten Säcken. Würde ich Romane schreiben, hätte ich ein Problem mit den Themenwechseln.

30. Juli 2025

2014 erhielt er den Nobelpreis für Literatur und heute ist er 80 Jahre alt: Patrick Modiano, der Franzose. Das einzige Buch, das ich von ihm besitze, heißt „Eine Jugend“, ist dafür aber von Peter Handke übersetzt. Es trägt noch nicht einmal den Familienstempel. Dafür hinten ein Porträt des Autors als junger Mann. Ich erwarb heute die nötigen Kalender fürs kommende Jahr 2026, kann also mögliche Schreibanlässe frühzeitig eintragen. Eyvind Johnson kommt als einer der ersten hinein, Heinz Knobloch natürlich und die ganze Rasselbande des Jahrgangs 1926, soweit sie auch mich interessieren könnte. Jack London hat gleich im Januar seinen 150. Geburtstag. Es ist gut, zeitig genug daran zu denken. Meine London-Reihe über der Durchreiche ist sehr lang, Biografien liegen quer. Mangels Aldi auf der Pörlitzer Höhe ein Ausflug zu Aldi auf dem Stollen. Handwerker müssen in unseren Keller, weil ganz oben im Haus etwas undicht ist. Sie sind überpünktlich, diese Männer.

29. Juli 2025

Eyvind Johnson, Nobelpreis 1974, hätte heute 125 Kerzen auf der Geburtstagstorte. Wäre ein bisschen viel. Er starb schon 1976, das gäbe dann ein Erinnerungsdatum am 25. August. Mit den Schweden bin ich nicht so gut bestückt: Strindberg natürlich von vorn bis hinten, ein paar Bände Lagerlöf, Lagerkvist, Dagerman, Lidman. Was man so hat eben. Von Johnson nur „Die Nacht ist hier“. Schon dünn für alle Gelegenheiten. Mit „Der Blumenschwejk“ las ich heute den 8. Knobloch in unmittelbarer Folge zu Ende, besser war ich zuletzt 2009. Da hieß der Autor Erwin Strittmatter. Den ich danach leider vernachlässigen musste. Meine Kritik zur Strittmatter-Biografie von Annette Leo war einer meiner größten Klick- und Leseerfolge. Sie hat sich nie empört, so weit ich weiß, ich hatte sie wohl auf beiden linken Füßen erwischt. Wenn ich dagegen an Bärbel Balke denke, die mich bis ins achte Glied rückwärts verfluchte in einem ellenlangen Brief. Kritiker-Schicksal eben.

28. Juli 2025

Abreise und Heimreise wieder im Regen. Bis auf das letzte Drittel. Wir nutzen den günstigen Preis für Benzin. Zuvor noch einmal Kaufland, Wein und weitere Biere. 23 packe ich zu Hause auf den Küchentisch fürs Erinnerungsfoto. Vom Marienbader Schriftsteller-Rundgang fehlen mir nur noch die Tafeln Sigmund Freud, Vladimir Páral und Vitěslav Nezval. Den Orientierungsplan fand ich nicht, zwölf der fünfzehn Namen sind aber im Fotoordner Marienbad. Wir benötigen trotz Umweg übers Hermsdorfer Kreuz keine drei Stunden. Als alles ausgepackt ist und halbwegs Ordnung, lese ich „Der Neubäck“ über den Zella-Mehliser Wunderbäcker Werner Ansorg, den Knobloch gut kannte und porträtierte. Mein Foto am Karlsbader Jugendstil-Papierkorb landet wahrscheinlich auf der Berliner Knobloch-Website. 301 Kronen bleiben für das kommende Jahr. 1721 Kronen für alle Getränke auf Zimmerrechnung. In Maishofen zahlten wir jeden Abend bar. Das Mehrfache davon.


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