Tagebuch

14. Mai 2019

Dafür, dass er in der Hauptsache Essayist ist, Herausgeber, Redakteur von „Literatur und Kritik“, deren jüngste 12 Jahrgänge meinen Zeitschriften-Bestand bereichern, hat er eine unfassbare Menge an Preisen bekommen. Also gar nicht so weit von ihm selbst weg sein Gedanke, einer der von ihm verantworteten Hefte (es gibt je fünf in einem Kalenderjahr) Lobreden zu widmen, Laudationes, wie das in Magisterkreisen lieber genannt wird: es ist das März-Heft 2019, für das er wie immer das Editorial verfasste: Karl-Markus Gauß. Am 14. Mai 1954 in Salzburg geboren, dortselbst lebend, von dort aus reisend. Zu einem anderen 65. Geburtstag dieses Jahres bin ich frühzeitig eingeladen worden, musste ebenso frühzeitig absagen wegen einer Reise. Zu diesem 65. Geburtstag trage ich nur mit dieser Notiz bei, was auch sonst. Gauß ist für mich noch immer weitgehend unentdecktes Land, mit Salzburg steht es deutlich besser. Mit meinem durchaus ansehnlichen Gauß-Archiv auch.

13. Mai 2019

Am 13. Mai 1994 sah ich zum ersten Mal im 41-jährigen Leben Luxemburg, Land und Hauptstadt. Ich befand mich mit meinem 73 Jahre alten Vater auf einer Art Männertagsreise an der Mosel, von wo aus der Ausflug seinen Ausgang nahm. In Luxemburg, wo ich knapp zwei Jahre später erstmals mild erschrocken verkehrt in eine Einbahnstraße fuhr, nur dank eines verständnisvollen Busfahrers ohne Blessuren und Strafen wieder herauskam, befand mein Vater den strammen Marschtritt unserer Stadtführerin für zu schnell und legte einen störrischen Steh-Streik ein, was mich um das Erlebnis der Kasematten brachte, die ich tatsächlich erst 2008 betrat. Wir sahen damals auch Mertert, weil der Bus uns wie zufällig an einem Riesenmarkt eine Pause gönnte. 2008 dann wohnten wir dort in einem schlossartigen Bau in einer Wohnung über zwei Etagen und bestätigten uns allabendlich, dass alle dummen Gerüchte über Weine aus Luxemburg dumm sind. Nicht nur Elblinge schmecken fein.

12. Mai 2019

Man hört zwar im Rasiersender während der Autofahrt diverse Veranstaltungshinweise, sie dringen aber nicht tiefer. In Jena ist heute Frühlingsfest, das Wetter wie vorhergesagt deutlich besser als gestern, aber auch gleich schlechtes Wetter hätte den starken Eindruck nicht verderben können, den diese Inszenierung von Nora Schlocker hinterließ. Wir mussten in Dresden bis tief in die Nacht Wein aus Südafrika trinken, eben eingeflogen, um unserer Freude zusätzlich Ausdruck zu verleihen. Für mich zwei südafrikanische Biere, eben eingeflogen: Freunde, das Leben ist lebenswert. In Jena sperrte die Polizei eben alles ab, was das Navi empfahl, wir fanden auf Umwegen den Parkplatz doch, den wir finden wollten und trotz Kampfdemonstration und Frühlingsfest auch einen guten Platz in einem guten Restaurant. Während solcher Feste wird Nahrung erwartungsgemäß vor allem stehend aufgenommen, was Freunden warmer Mahlzeiten mit Sitzplatz Möglichkeiten eröffnet.

11. Mai 2019

Nur ein einziger Text aus meiner Rubrik MEINE SCHWEIZ wurde öfter aufgerufen als die „Mini-Hommage für Carl Seelig“. Das ist „Heinrich von Kleist in der Schweiz“. Carl Seelig, am 11. Mai 1894 in Zürich geboren, am 15. Februar 1962 in Zürich gestorben, ist in meinem Archiv seltsam spärlich vertreten: eine einsame Kritik zu seinem Buch „Wanderungen mit Robert Walser“ ist da auf ein kariertes Blatt DDR-Papier geklebt. Im Regal ist das Reclam-Buch aus Leipzig sogar hinter die zahlreichen Bände Robert Walser gerutscht aus Platzgründen. Immerhin, ich las die „Wanderungen“ am 17. Oktober 1989 zu Ende, in bewegten Tagen, da viele noch meinten, an der DDR wäre etwas vielleicht doch zu retten. Später habe ich mir Stellen angeschaut, da Seelig mit Walser unterwegs war, nicht alle natürlich. Heute geht es zu „Kasimir und Karoline“ nach Dresden, morgen aus Dresden nach Jena, Finale des zweigeteilten Familientreffens vom Wochenende in Dörnfeld a.d.H.

10. Mai 2019

Die erste echte Rentnerwoche zu zweit geht in die Zielgerade, es klappt mit dem gemeinsamen Frühstücken, der Ruf „Das Essen ist fertig“ erschallt wie früher allenfalls an Wochenenden. In die Post gehen kopierte Rentenbescheid-Seiten wegen der ausstehenden Zusatzrente, der Zeitungsberg im Wohnzimmer verliert seine furchteinflößende Höhe, der Zeitungsberg im Arbeitszimmer nähert sich dem Normalpegel bester Zeiten. Wegen des Wochenend-Besuches ist der Kühlschrank voll, als kämen Notzeiten auf uns zu. Ich bin mit meiner Uralt-Datei zu „Kasimir und Karoline“ zu mehr Nachtrag gekommen, als ich nach Lage der Dinge hätte hoffen können. Anruf aus Dresden, wir fahren morgen etwas später als sonst und am Sonntag etwas eher zurück. Vier englische Klubs stehen in den europäischen Finals, das gab es noch nie. Wir werden schauen, ob das eine Ausnahme bleibt oder die schon lange beschworene neue Übermacht der Insulaner nun auch sichtbar vorführt.

9. Mai 2019

Man muss es nicht gleich Erfolg nennen, aber schämen will ich mich auch nicht deswegen. Zum 70. Geburtstag des viel zu früh verstorbenen Autors Bernd-Dieter Hüge am 9. Mai 2014 setzte ich meine frühe Kritik zu seinem zweiten Buch „Beichte vor dem Hund“ in meine Rubrik ALTE SACHEN ins Netz und heute, da ich mich noch einmal seines Sterbedatums versichern wollte (24. Januar 2000), finde ich meinen Text bei der Google-Suche unmittelbar hinter dem WIKIPEDIA-Eintrag zu Hüge. Ich kaufte mir nach den Gedichten noch das 1991 in der Aufbau-Reihe „Texte zur Zeit“ veröffentlichte „Mein Knastbuch“ mit der da schon sensationsarmen Aussage auf dem Rücken: „2 Jahre und 8 Monate Haftstrafe für einen Unschuldigen – auch das gehörte zum vergangenen DDR-Alltag“. Mir war längst schon die Zeit abhanden gekommen, solche Bücher zu lesen, der aufregende und gesundheitsschädliche Tageszeitungs-Alltag raubte jegliche Freizeit. 

8. Mai 2019

Reichlich sieben Jahre ist es her, dass ich zuletzt eine Inszenierung von „Der Revisor“ sah, es war eines der regelmäßigen Gastspiele des Marburger Theaters in Arnstadt. Ein weiteres Jahr zuvor sah ich die Gogol-Komödie in Rudolstadt als Sommertheater auf der Heidecksburg. Damals befiel mich der Gedanke, wie gut es womöglich wäre, wenn sich das kleine Haus mit großer Vergangenheit auf Komisches konzentrierte, weil das auffallend oft deutlich besser geriet als das, sagen wir: Tragische. Ei, ei, was musste ich mir anhören! Gestern nun „Der Revisor“ in Gera, zwei Stunden mit Pause nur, aber zwei höchst kurzweilige Stunden. Die Kritik wird dennoch erst morgen fertig werden, weil die Urlaubswoche zu Hause einen mittleren Stau hinterließ. Nicht zu vergleichen natürlich mit dem Stau im Raum Stadtroda, den viele umfahren wollten, weil es der Verkehrsfunk riet, was sie in den selbst gebastelten Zusatzstau führte beim Versuch, sauschlau in Jena von der Autobahn abzufahren.

7. Mai 2019

Vor dreißig Jahren, zu seinem 50. Geburtstag, gelang mir nur ein „Nachträglicher Glückwunsch“, der dank Internet auf meiner Seite in der Rubrik ALTE SACHEN tausendfach aufgerufen wurde. Zum heutigen 80. Geburtstag gratuliere ich pünktlich und vielleicht etwas zu ausführlich. Ich nahm mir seinen ersten Gedichtband vor: „Provokation für mich“, dessen heute bis zu sechzig Jahre alten Respektlosigkeiten mir immerhin eine solide Basis liefern für eigene Respektlosigkeit. Volker Braun ist heute in allen wichtigen und auch allen sich nur wichtig dünkenden Feuilletons präsent. Ich selbst vergesse ihn allein aus dem Grund nie, weil der 7. Mai eben auch der Geburtstag meines Vaters ist, dessen in zwei Jahren anstehender 100., nehme ich mir höchst dringlich vor, mich zu biographischen Reminiszenzen verleiten wird. An Brauns 70. Geburtstag sahen wir in Amsterdam im Rijks-Muzeum eine Sonderausstellung 17. Jahrhundert, Vermeer, Rembrandt, Frans Hals. Toll.

6. Mai 2019

Die Welt wird in zwei, drei Generationen nicht mehr dieselbe sein wie heute. Verkündet allen Ernstes zu später Stunde der Nachrichtenmann Claus Kleber. Wer zwingt ihn, solche Mumpitz-Sätze aufzusagen? Schon in einer Millisekunde ist die Welt nicht mehr die von eben. Das weiß man seit der Antike, seit der Satz, man könne nicht zweimal in denselben Fluss steigen, zutreffend zum dem gesteigert wurde, man könne auch nicht einmal in denselben Fluss steigen. Das alles hat mit der Biodiversität nichts zu tun, das ist Philosophie. Um den ersten Satz oben zu verkünden, muss niemand auch nur einen Halbsatz eines neuen Berichtes von irgendwem lesen, verkünden oder gar für richtig erkannt haben. Wir leben aber offenbar nicht nur in Zeiten des forcierten Artensterbens, sondern auch in einer der forcierten Verblödung. Es ist unerträglich, selbst kluge Leute Stuss reden zu hören. Ist auch der erst denkende, dann redende Mensch Angehöriger einer aussterbenden Art?

5. Mai 2019

Wir nehmen fünf der Berliner mit nach Ilmenau zum Bahnhof, genau die, die mit dem Zug kamen und nicht mit dem eigenen Auto. Sie finden unseren Bahnhof sehr ansehnlich, das finden wir auch. In der Post zu Hause die Wahlbenachrichtigungen, die Bestätigung der Zahn-Zusatz-Versicherung, die Kohle überwiesen zu haben, ich begleiche anschließend die erste saftige Rechnung. Aus Weimar das Spielplan-Heft für die Saison 2019/2020, aus Dresden erst einmal nur die entsprechende Mail, ich drucke mir auf die Schnelle die Premieren aus. Die auslaufende Saison führt uns kommende Woche noch nach Gera und Dresden. Heute kann ich sagen, dass ich mit einer werktätigen Frau nach Südbayern fuhr, um mit einer Rentnerin nach Hause zu kommen. Der Termin für das Treffen der Familie im kommenden Jahr ist vereinbart, es wird ein erweitertes Programm geben. Das jüngste Mitglied ist fünf Monate alt und wird 2020 sicher schon laufen, das älteste wird bald 70.

4. Mai 2019

Eine halbe Stunde eher auf den Beinen, die ersten Verladungen noch gestern, vor allem die vielen Biere, die Rechnung auch noch bezahlt vor dem Abendessen. Es blieb nach dem Frühstück nur noch die Rückgabe von Zimmer- und Tiefgaragen-Schlüssel, die Abgabe der Kurkarten und Armbänder.
Auf dem Weg nach Norden langsam sinkende Temperaturen, Regen. Später im Raum Staffelstein plötzlich Schneefall, wir erinnerten uns der unglaublichen Prognosen fürs Wochenende, sahen später die geschlossenen Schneedecken über Flieder. In Dörnfeld waren wir fast die ersten und erwischten später auf dem Rückweg vom nicht ganz so großen Familienspaziergang noch eine sehr kräftige Husche Schneeregen. Aus München kamen Fotos aus dem Stadion aufs Handy. Die Familie hat es eher mit Jena als mit Bayern München. Wir bewohnen wieder den Bungalow, die junge Frau an der Rezeption ernennt mich zum Rudelführer. Es gibt sehr guten Müller-Thurgau aus Bad Sulza.

3. Mai 2019

An der Hotelrezeption der dezente Hinweis auf die Höhe der Rechnung, als wir von unserer ersten Auslandsreise des Jahres zurückkehrten: Ein Nahausflug nach Schärding im Innviertel. Die hübsche Stadt voller Geschichte steht nun auf der Wiederkehr-Wunschliste. Wir wanderten einen Rundweg ab und fanden im Vorraum einer öffentlichen Toilette diverse Tourismus-Broschüren und Flyer. Der zweite Besuch im Getränkemarkt brachte noch einmal elf neue Sorten. Im Hotel-Dampfbad eine Frau aus Görlitz, die oft mit ihrem Mann in Füssing war, der jetzt mit Pflegestufe III nicht mehr von zu Hause weg kann. Für sie der erste Solo-Ausflug, weil die Kinder sich in der Zeit kümmerten. Sie bedankte sich anschließend dafür, dass wir uns mit ihr unterhielten. Von den drei mitgenommenen Büchern das dritte beendet: „Provokation für mich“, Lyrik-Debüt von Volker Braun aus dem Jahr 1965, da verplätscherte eben die dem sowjetischen Vorbild nachempfundene Lyrik-Welle der DDR.


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